log #176: slow motion | leader

Darf ich davon ausgehen, daß wir in einem ganz grundlegenden Punkt weitreichende Übereinkunft haben? Es gibt ein (ideengeschichtlich) altes Prinzip, daß in einer Demokratie den Menschen nahelegt ist, am kulturellen und politischen Leben öffentlich teilzunehmen.

In der griechischen Antike war das einer (männlichen) Elite und Minorität vorbehalten, die dieses Prinzip ausgelotet hat, während eine Sklavengesellschaft für sie all die weniger interessanten Dinge des Lebens bearbeitete. Heute stehen wohl anspruchsvollere Vorstellungen zur Debatte.

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Ich hatte mit Christa Ecker-Eckhofen kürzlich eine Büro-Session an der frischen Luft, denn der Sommer lädt dazu ausdauernd ein. Da wir in wenigen Tagen die Unterlagen für ein kommendes Hearing einreichen, ist ein aktueller Konsens-Check zwischen uns naheliegend. (Michaela Zingerle, die Dritte im Team, ist zur Zeit on the road und unbekannten Aufenthalts.)

Wir sind uns einig: Weder haben wir der Politik, noch den Kunstschaffenden zuzurufen, daß mehr oder andere Kunstwerke gefordert, gefördert, gekauft werden sollen. Das unterliegt einzig dem Autonomie-Prinzip der Gegenwartskunst ... und natürlich der gegenwärtigen Marktlage, die dieses Autonomie-Prinzip allerdings leicht zu übersteuern vermag. Aber wie angedeutet, das haben Kunstschaffende mit sich und mit ihrem Klientel/Publikum auszumachen.

In der Aufstellung:
– Christa Ecker-Eckhofen (kaufmännische Leitung)
– Martin Krusche (konzeptuelle Leitung)
– Michaela Zingerle (organisatorische Leitung)
... für ein großes und längerfristiges Kunstprojekt in der sogenannten "Provinz" setzen wir bei einem ganz anderen Aspekt an.

Ich hab im vorigen Eintrag ein Buch von Niklas Luhmann vorgestellt, das als maßgebliche Kunsttehorie des 20. Jahrhunderts gilt: "Die Kunst der Gesellschaft". Luhmann behandelt darin "Das soziale System Kunst".

Wir stützen uns konzeptuell durchaus auf dieses Werk. Es bleibt zu betonen, Kunst ist keine „Wellness-Zone" und keine „Bastelstube", sondern ein zentrales Ereignisfeld menschlicher Gemeinschaft.

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Ich hab solche Zusammenhänge kürzlich auch mit dem Weizer Künstler Hubert Brandstätter debattiert. Die Bezirkshauptstadt Weiz ist für uns ja ein relevanter Referenzpunkt in der "Energie-Region". Doch die "interne Kultursituation" der Stadt ist ... sagen wir: kompliziert.

Deshalb werde ich selbst eher keine Energie auf "Weiz-Interna" verwenden, sondern mich darauf konzentrieren, welche Rolle die Stadt im größeren regionalen Gefüge der neuen Kultursituation spielen möchte. Dieses "Größere" muß von einigen grundsätzlichen Fragen handeln.

Lassen Sie bitte kurz die Gedanken an Kunstwerke hinter sich und legen Sie, wenn möglich, für einen Augenblick auch jene sozialromantischen Bildchen beiseite, die oft von Kunstschaffenden selbst produziert werden, um öffentliches Interesse zu gewinnen.

Wir haben hier viel eher von Regionalpolitik und von Regionalentwicklung zu reden, von Fragen nach den Themen und Prioritäten in eben dieser Regionalentwicklung. Es geht uns also darum, wie unter dem Veränderungsdruck aus den vergangenen Jahren und im Kielwasser der radikalsten Weltwirtschaftskrise seit 1929 ein Lebensraum wie die „Energie-Region" materiell und immateriell ausgestattet sein sollte, um auf der Höhe der Zeit bestehen zu können.

Dabei spielt der kulturelle Stand der Dinge eine zentrale Rolle, weil Menschenbild, Kommunikationsvermögen und soziale Orientierung in diesem Bereich vor allem von Kulturschaffenden erhoben, erprobt, geklärt werden und erst ab da die Regionalpolitik ihr konkretes Gesicht bekommt.

Das meint, die Grundlagen von
– Wahrnehmung,
– Information,
– Mitteilung
– und Verstehen
... die prospektiv genau nicht von der Wirtschaft oder von der Politik gestaltet werden. Dort wird eher retrospektiv genutzt, was zum eigenen Vorteil über solche Zusammenhänge herausgefunden worden ist. Und manchmal wird mindestens in der Politik dem Prospektiven Raum gegeben, wie wir es hier nun im LEADER-Kontext erleben.

Wahrnehmung, Information, Mitteilung und Verstehen, das sind Domänen und Basisereignisse des Kunstfeldes, bevor sie als politische Praxis in einer Demokratie der Gegenwart Wirkung entfalten. Das wird in allgemeinen Debatten gerne übersehen, wo Menschen im Nachdenken über Kunst und ihre Bedingungen zuweilen beim Thema „Kunstwerke" und Fragen nach deren Präsentation hängen bleiben.

Wir aber arbeiten regional am Thema "Das soziale System Kunst", die individuelle künstlerische Praxis, die bei mir nun über "next code: crossing" zu "next code: asking" führt, entfaltet sich davon unabhängig ganz jener Autonomie der Kunst verpflichtet, die ich schon erwähnt habe.

Es könnte so zusammengefaßt sein: Meine Freiheit als Künstler und meine bewußte Gebundenheit als politischer Mensch und Staatsbürger sind zwei verschiede Facetten meiner Existenz, die einander keineswegs behindern. Im Gegenteil!

[slow motion: übersicht]


coreresethome
34•09