log #168: slow motion | leader

An der Freiheit der Kunst kann nicht gerüttelt werden. Als Kunstschaffender hab ich die Freiheit, alle Arten von Anforderungen und Bedingungen zurückzuweisen. Ich werde freilich die allfälligen Konsequenzen dieser Optionen meist nicht vermeiden können.

Wenn ich anderen diese Freiheit zubillige, so hege ich zugleich einige Skepsis gegenüber Kunstschaffenden, die in einer Debatte über Hintergründe und Zusammenhänge ihres Tuns nichts zu sagen wissen.

Ich habe es gerne, wenn jemand über die grundlegendsten kulturellen, zeitgeschichtlichen und politischen Implikationen des eigenen Tuns etwas weiß.

Ein äußerst brisantes Stichwort zu unserer Gegenwart: EUROPA. Zu diesem Thema möchte ich einen schlanken Essay von kaum mehr als 60 Seiten empfehlen.

Jacques LeGoff ist (neben Philippe Ariès) einer jener französischen Historiker, deren Werk mich nun schon Jahrzehnte begleitet. LeGoff hat mit "Das alte Europa und die Welt der Moderne" eine wunderbare Skizze verfaßt, durch die sich ein Eindruck ergibt, was einem halbwegs vertraut sein sollte, wenn man sich der Frage widmet, was denn das sei: Europa.

log168a.jpg (17215 Byte)

In einem früheren Eintrag hab ich eine kleine Einführung in die Kunst des 20. Jahrhunderts von Jochen Poetter [link] erwähnt. Wer am Thema Geschmack gefunden hat, wird bei diesem Bändchen wahrscheinlich die winzigen Abbildungen beklagen.

Das Problem fällt bei jener Publikation nicht an. (Es scheint allerdings inzwischen nur mehr eine zweibändige Ausgabe verfügbar zu sein, ich hab noch den großen Gesamtband.)

Christiane Fricke, Karl Ruhrberg, Manfred Schneckenburger und Ingo F. Walther haben die "Kunst des 20. Jahrhunderts" erst in einer Reihe von Kapiteln gründlich dargestellt und dann um einen ausführlichen Block mit Biographien, mit einem "Künstlerlexikon", ergänzt.

Diese Ausgabe ist so preiswert, daß eine Neuanschaffung sich lohnt. Bei anderen Fachbüchern können gelegentliche stattliche Preise gemildert werden, indem man sich online nach gebrauchten Bänden umsieht.

log168b.jpg (18826 Byte)

Wer etwas genauer wissen und sehen möchte, was denn geschehen ist, als "Die Moderne" heraufdämmerte und die Kunst eine verblüffende Vielfalt visueller Codes hervorbrachte, wird sich mindestens den Impressionismus etwas genauer anschauen.

Manchen Menschen ist gar nicht geheuer, was im 20. Jahrhundert an abstrakten Formen entstanden ist, um sich rasant durchzusetzen.

Sowas fällt natürlich nicht vom Himmel. Es bezieht sich aus sehr verschiedenen Quellen menschlicher Erfahrungen.

John Rewald erzählt "Die Geschichte des Impressionismus" als ein Feuerwerk des Geistes und des Erfahrungshungers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Es ist sicher kein Zufall, daß als eines der ersten Bilder in diesem Buch jenes erscheint, mit dem Eugène Delacroix der Französische Revolution eine Ikone geschaffen hat: "Die Freiheit führt das Volk".

log168c.jpg (28684 Byte)

Selbst wer sich in all diesen Zusammenhängen nicht sachkundig fühlt, wird bei der Lektüre plötzlich merken, wie vertraut vieles davon erscheint, was darauf hinweist, wie enorm prägend diese Ära war, deren Zentrum Paris gewesen ist.

[literatur] [slow motion: übersicht]


coreresethome
31•09