Log #92

Das Projekt „next code“ hat im Bereich „next code: divan“ demnächst seine letzte Station im Rahmen der „regionale 08“; das Projekt selbst wird freilich weitergeführt werden. Die vorerst abschließende Session soll dem Diskurs gewidmet sein, einigen aktuellen Fragestellungen.

Diese Station hat inzwischen zusätzliche Anregungen erhalten. Ich habe neben dem Künstler Christian Eisenberger, der im Video vorkommen wird, unlängst auch den Rumänen Romelo Pervolovici an einem gemeinsamen Tisch gehabt. (Siehe Krusches Log, Eintrag #1180!)

Rumänien wird nicht mehr dem "Balkan" zugerechnet, sondern das Balkangebirge entspringt dort. Ich finde die Region und die dort herrschende Situation sehr interessant.

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Mit einigen Gläschen chinesischem Maotai haben Romelo und ich darauf angestoßen, daß wir einer aufregenden Zukunft entgegen sehen. Denn wir sind uns einig, Europa wird es in den kommenden Jahrzehnten sehr schwer haben, seine geraubte Vormachtstellung aufzugeben. (Auch Amerika muß sich genau dieser Herausforderung stellen.) Aber eben deshalb sind wir auf die kommenden tausend Jahre neugierig. (Erste Anklänge davon im Video, das am 29. August gezeigt wird.)

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Für den Livebereich dieses Abends habe ich die Autorin Evelyn Schalk eingeladen und den Raumproduzenten Dieter Spath, der momentan als künstlerischer Leiter der „regionale 08“ fungiert. Ich habe mit beiden schon verschiedentlich Überlegungen angestellt, welche Schlüsse zu ziehen seien, wenn man eingespielte Abläufe des Kunstbetriebes überprüft ... vor allem auch Inszenierungen im Rahmen des Denkmodells „Zentrum/Provinz“.

Dazu gehört unter anderem ein Nachdenken über ganz generelle Veränderungen im städtischen Leben, zugleich die Gesamtschau; was sich also abseits der Zentren tut, wie das zu einander in Beziehung kommt, solche Prozesse sind zu erörtern. (Siehe dazu auch den Berech „next space“, der gerade im „Pausenmodus“ steht, aber noch heuer erneut in Gang kommen wird.)

Die „regionale 08“ selbst, was immer daran bisher ausgesetzt wurde, war eigentlich (nach meinem Geschmack) noch viel zu wenig Anlaß, solche Aspekte zu debattieren, aber ein wichtiger Impuls dazu. Es läge nun an uns, den Leuten aus der "Provinz", diese Sache weiterzutragen. Vielleicht ist es ohnehin nur so gangbar: Die Praxis, auch wenn sie da und dort anfechtbar erscheint, gibt Anlaß zu konsequenter Reflexionsarbeit.

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Eine Fahrt mit dem Shuttle (hier beim Feldbacher Bahnhof) durch die Region, obwohl es dabei sehr einsam zugehen mag, erweist sich als wichtige Lektion. Man kann diese Geschichte, diese "Angelegenheiten der Provinz", nicht von Graz aus beurteilen. Aus dieser satten und bankrotten Stadt, wo sich alles zusammendrängt, was auf gute Geschäfte und gehobene Aufmerksamkeit hofft. Es ist angebracht, sich vor Ort einen Eindruck von der Stille der Abschnitte zu verschaffen. Auch von den eher bescheidenen Verhältnissen. Das ist keine so aufgeregte und aufgemascherlte ländliche Region, wir man es von westlichen Tourismusregionen kennt.

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Die bescheidenen Verhältnisse drücken sich auch auffallend in historischen Aspekten aus. Etwa dieser recht zurückgenommene Barock des Schlosses Hainfeld (von dem hier noch die Rede sein wird) mit seinen schönen, klaren Linien auf überschaubaren Größen.

Sehr bedauerlich, daß erst durch viel Geschnatter, wie es rund um dieses Festival entfacht wurde, etwas mehr Aufmerksamkeit für jene bemerkenswerten kulturellen Wurzeln entsteht, die jene stille Region hat. Tourismusleute haben diese Zusammenhänge nie zu bewerten gewußt und daher aus ihren Beschreibungen, aus ihren Vorhaben weitgehend ausgeblendet. Kulturrefrenten scheinen vielerorts völlig davon überfordert, sich ein kulturelles und sozialgeschichtliches Grundwissen über die Region anzueigenen.

Und Kunstschaffende, die hier geblieben sind, das besagt meine praktische Erfahrung, sind überwiegend nur mit ihrem eigenen Oeuvre befaßt, bei gleichzeitig einem geradezu verblüffenden Desinteresse an den regional kulturellen Hintergründen, die doch ein Fundament unseres Tun ergeben.

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Ich habe mir eben erst sagen lassen: „Sie lachen hinter deinem Rücken über dich, wenn du dich über diese Dinge so ereiferst.“ Ich kenne dieses Gelächter gut, das vorzugsweise aus Schaukelstühlen erklingt, wo sich Kunstschaffende in Sicherheit wiegen und darauf warten, daß sie „groß herauskommen werden“. Das ist ein Stück volkstümlicher Musik, dieses Lachen. Ohne Esprit und auch nur eine Spur von Originalität. Es wird nichts zu erreichen sein, so lange man in einem Schaukelstuhl sitzten bleibt.

Darüber ereifere ich mich gerne: Wir denken noch so sehr in Kategorien der mittelalterlichen Stadt. Dom. Palast. Marktplatz. Stadtmauer. Und außerhalb dieser Mauern sei die Feindseligkeit zuhause. Innerhalb dieser Mauern hat man Fürst und Bischof Referenz zu erweisen. (Das bedeutet auch: Ein Denken in höfischen Kategorien.)

In solchen Kategorien denkend wird sich nichts Interessantes ereignen. Wie spannend war es vergleichsweise, mit Romelo den so merkwürdig schmeckenden Maotai zu trinken, Momente der Historie zu erörtern, welche Schlüsse wir daraus ziehen, um zu debattieren, was in naher Zukunft zu tun wäre. Dazwischen auch einige Zeit für Flüsterwitze über Ceausescu, unter dessen Herrschaft Romelo aufgewachsen ist. Ich bin das Land-Ei, er der Bursche aus einer Großstadt, Bukarest, doch das schafft keine ausschließenden Momente ... [Fortsetzung]


resethome
34•08