Log #89Die
"Boulevardisierung" Österreichs ist ein wachsendes Phänomen im Bereich
öffentlicher Diskurse und mediengestützer "Realitätserzeugung". Eine
besorgniserregende Entwicklung. (Siehe dazu meinen Logbuch-Eintrag #1171!)
Major-Companies deuten die Welt auf sehr merkwürdige Arten, Meinungsmacherei unterstellt
höchst kuriose Zustände. (Dazu weiter unter noch ein kleiner Beleg.) Gute Gründe, die
Rollen und Agenda von Kunstschaffenden laufend zu erörtern.
Der Weizer Künstler Hubert Brandstätter hatte einheimische Leute
sowie Gäste aus Polen und Deutschland zu einem "Künstlergespräch" im
"Kunsthaus" von Weiz geladen. Dabei wurden Hintergründe und Rahmenbedingungen
erörtert. Das historisch bewährte Modell kennt zwei Hauptkonzepte:
a) Man stammt
vorzugsweise aus wohlhabendem Hause (Flaubert, Malewitsch, Mann etc.) Wer Talent,
Fleiß und keine Geldsorgen hat, meidet dadurch so manche Hürde und Bürde des
Kunstbetriebes, die einem die Arbeit erschweren.
b) Man ist derart genial, begabt und
fleißig, dabei auch mit dem Lauf der Zeit und dem Stand der Dinge kompatibel, daß man
auf dem Markt blitzschnell reüssiert und fürderhin kaum noch Geldsorgen hat.)
Ich weiß. Polemische Verkürzungen. Wer aber solche Vorzüge nicht
vereinbaren kann, Geld und überragendes Talent, wird so oder so schwierige Wege vor sich
haben. Ob freischaffend oder mit Brotberuf, in freier Wildbahn oder in solider Stellung,
egal. Es wird viel Kraft gebunden, den Alltag zu bewältigen und Rechnungen bezahlen zu
können; diese Ressourcen fehlen im Bereich künstlerischer Praxis dann erheblich.
Allerdings, kein Grund zur Klage! So ist das Geschäft. Wie viele andere
Geschäfte, in denen nur harte Jobs vergeben werden. Niemand hat uns je etwas anderes
versprochen.
In diesem Zusammenhang ergaben sich in Weiz wieder bewegende Debatten mit
dem Maler Hannes Schwarz und seiner Frau Elfriede. Seine Talente und Praxis reichten für
ein Werk von internationalem Rang. Doch im Alltag blieb er Lehrer, um verläßlich Geld zu
verdienen und sich nicht mit dem Kunstmarkt plagen zu müssen. Für die restliche Zeit im
Jahr hielt ihm seine Gemahlin weitgehend den Rücken frei, damit er sich im Atelier der
Kunst widmen konnte. (Auch kein Spaziergang, wie angenommen werden darf.)
Wie man es dreht, der Weg in die Kunst ist meist kein Freigang jenseits
banaler Belastungen. Warum auch? Vielleicht mögen sich manche das Künstlerleben als
"heidnische Version" von Priesterschaft vorstellen und entsprechenden Dispens
von allen trivialen Anforderungen erhoffen. Realistisch erscheint mir so eine Vorstellung
aber nicht.
Im Eintrag # 1174 meines Logbuchs hab ich Romelo Pervolovici schon
erwähnt. Er stammt aus Bukarest, betreibt dort gemeinsam mit Maria Manolescu das Projekt
"Metacult". Romelo ist der
gleiche Jahrgang wie ich.
Hier sitzt er gerade vor dem Grazer "Medienkunstlabor", wo er
demnächst eine Installation zeigen wird. Er ist in der Ära Nicolae Ceausescu
aufgewachsen, als Bildhauer gut vorangekommen, aber auch im Knast gesessen. Romelo kommt
aus einer Welt, wo man mit seiner Frau unter die Dusche ging, um heikle Dinge zu
besprechen, um ein halbwegs sicheres Gefühl zu bekommen, daß niemand mithört.
Gegenwartskunst, wie wir sie kennen und für selbstverständlich halten,
gab es dort vor den 1990er-Jahren praktisch nicht. Romelo hat inzwischen seinen Weg als
Künstler völlig ändern müssen, sich selbst praktisch neu erfunden, um in einer
weitreichenderen Gegenwart ankommen zu können.
Hab ich den Mann irgendwas beklagen gehört? Nein. Die Kunst und ihre
Bedingungen, Themen, Vorhaben, Verfahrensweisen. So geht das. Während mir hier im
Österreich situierte Bildungsbürger, die sich der Kunst verschrieben haben, mit Ausdauer
die Ohren vollsudern, was alles sie als Künstler behindert, verhindert, ihnen ihren Weg
erschwert. (Siehe Eintrag
#1178!)
DAS ist die tiefe Provinz, egal wo man wohnt. Wenn man offenbar die
Branche nicht kennt, die Welt nicht kennt, wenn man sein ganz privates Elend zur
öffentlichen Sache zu machen versucht. Dazu paßt dann folgende, völlig jenseitige
Leserpost:
So von "Kronen
Zeitung"-Kolumnist Michael Jeannee unlängst publiziert. Das sind
Appelle, Künstler in ein Reservat zu schaffen, die Politik den Politikern und die
Meinungsbildung den Zeitungsleuten zu überlassen. Ein Albtraum! [Siehe dazu auch Notiz #21 bei "next code:
divan"!]