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seite #5 Ich hab im vorigen Eintrag von Zuschreibungen erzählt, durch
die Menschen anderer Ethnien, anderer Kulturen, als "Horden" und
"Hunnenpest" ausgestellt wurden. Solche Zuschreibungen waren das Werk honoriger
"Kulturträger", von denen einige heute noch hoch in Ehren gehalten werden. Man
hat das Werk, das man verehrt, einfach von den menschenverachtenden Anteilen befreit, so
auch die Personen "bereinigt".
Damit sind Fragen nach Schuld und Verantwortung unter den
Teppich gekehrt. Die Muster, die Abläufe ähneln sich. Das kann man auch an ganz anderen
Orten überprüfen.
Wie mag es gewesen sein, als vor einigen Jahrzehnten Leute
einer völlig verarmten Landbevölkerung aufbrachen, um jener totalen Aussichtslosigkeit
der „Dustbowl“,
zum Beispiel in Oklahoma, zu entkommen? Im Süden, so hieß es damals, solle alles besser
sein. Auf den strotzenden Obstplantagen Kaliforniens.
John Steinbeck hat das in einem der großen Romane Amerikas
beschrieben: „Früchte des Zorns“. 1940 verkörperte Henry Fonda in der meisterhaften Verfilmung von John Ford
den zähen und mutigen Tom Joad aus dieser Geschichte. (Oben links neben John Carradine
als Casy.)
Was da als Nord-Süd-Verlauf stattfindet, ist woanders
öfter ein Süd-Nord-Verlauf, wir kennen es auch als einen Ost-West-Verlauf. Doch wenn man
nur weit genug nach Westen geht, kommt man schließlich im Osten an.
Es ist also sehr irreführend und diffus, andere in diesen
„Nord-Süd-„ und „Ost-West- Relationen“ mit simplen Zuschreibungen als „Die
Anderen“ zu markieren und abzuwerten. Sie in der Folge energisch abzuwehren führt dazu,
eine Welt zu zerbrechen, deren Ganzheit unsere unverzichtbare Grundlage für eine
friedfertige Zukunft ist.
Wo immer sich Menschen aufgemacht haben, drückende Armut
hinter sich zu lassen, entwickeln sich offenbar rund um die Erde vergleichbare Haltungen.
Ganz egal, in welcher Kultur sich das ereignet. Jene, die sich im Wohlstand sicher
aufgehoben fühlen, verschanzen sich gegen Arme, die als feindselig herabgewürdigt, als
„Eindringlinge“ behandelt werden.
Bemerkenswert ist daran, daß man unter so vielen Leuten in
Abwehrstellung, unter jenen in ihren Wohlstands-Festungen, meist nur ein, zwei, vielleicht
gerade drei Generationen zurückschauen muß, um vergleichbare Armut und Gefährdung in
deren Familiengeschichten zu finden. Die Armutserfahrung der eigenen Vorfahren verbirgt
sich in den aktuellen Abwehrhaltungen gegenüber neu ankommenden armen Leuten.
Das ist der Boden präfaschistischer Aufraffungen. Das war
in unserer Historie dann auch die Stunde des Faschismus. Als sich eine Clique von
Jünglingen aufgeschwungen hat, einem verarmten Teil der Völker Deutschlands und
Österreichs einen anderen Teil der nämlichen Völker zum Fraß hinzuwerfen.
Der Modus ist bewährt. Das betont auch Martin Scorsese in
seinem Epos „Gangs Of New
York“. Darin merkt ein Politiker an, man könne doch immer eine Hälfte der Armen
kaufen, die andere Hälfte totzuschlagen. Die Botschaft auf der Flagge, vor der Bill
"The Butcher" Cutting (Daniel Day-Lewis) hier hockt, besagt: "Gebürtige
Amerikaner, hütet Euch vor fremdem Einfluß".
Diese populäre Dummheit, sich strategisch exzellent
aufgestelltenen Eliten anzudienen, verschleiern die Leute gerne an sich selbst, indem sie
das verlockende Angebot annehmen, „Ausländer“, „Slawen“, „Ostblockleute“,
„Neger“ für Schuldige an der Bedrohung ihres Wohlstand zu halten.
Im Faschimus wurde das mit einer menschenverachtenden
Konsequenz und mit Maßnahmen durchgezogen, die heute hierzulande nicht mehr möglich
scheinen. Aber die Grundübungen dafür sind nach wie vor en vogue. Sie werden auf dem
Boulevard von Redakteuren im Range „nationaler Vorturner“ gewinnbringend praktiziert.
Wir rechnen schließlich nicht nach, auch wenn das zynisch
klingen mag, wie viele kleine Ganoven in wie viele Proletarier-Wohnungen einbrechen müßten,
um den Schaden an der Volkswirtschaft zu erwirken, der an jene Summen heranreicht, die
dank Stiftungsrecht, Bankgeheimnis, freundlicher Steuergesetzgebung für Reiche und dank
aller Arten der Malversationen von gut situierten Anzugträgern dieser Republik entwendet
werden.
Ich behaupte, daß all die kleinen Einbrecher und Autodiebe
es niemals auf den Gegenwert bringen, den manche Bankiers, Geschäftsleute und
Industrielle durch Hinterziehungen und Manipulationen aller Art aus dem Volksvermögen
stehlen.
Weil wir aber offenbar zu dumm sind, diese
Augenauswischerei der Journaille auf dem Boulevard zurückzuweisen, weil wir uns in diesen
Rollen gefallen – „der kleine Mann“, „der Normalbürger“, „der Mann von der
Straße“, „Otto Normalverbraucher“ –, müssen uns „die da unten“ und „die da
drüben“, also jene aus dem Süden und Südosten, als Schuldige herhalten.
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