Von Überquerungen und Kreuzungen des Unabsehbaren
(Erste Impulse und Schritte für "next code: crossing")
Von Martin Krusche
"Träumte die Spätmoderne vom Ideal einer autonomen
und medienspezifischen Kunst, so hat die Postmoderne den kritischen Sturz dieser
restriktiven Hierarchie der Mittel und Ästhetiken im Slogan Anything goes
banalisiert. Der Einbruch von Alltag und Popkultur, von privaten Mythologien und neuen
Medien hat das Betriebssystem Kunst auf eine komplexe Verarbeitung verschiedenster
Quellen, Bezüge und Möglichkeiten umgestellt, auf vielfältige, gleichberechtigte
Strategien der Handhabung von Wissen, Erfahrung, Geschichte, Politik und Ästhetik. Gibt
es noch ein Eigenes der Kunst, das ihr gleicht worin könnte es liegen, wo gäbe es
in ihr ein Anderes?"
(Aus einem Arbeitspapier zum Festival "steirischer herbst")
Ich zähle mich zu jenen Künstlern, deren Arbeit stets auch nach den Bedingungen der
Kunst, weiters nach den Bedingungen des Lebens fragen läßt. Noble Distanz zu meiner
Umgebung erscheint mir nicht möglich. Also muß ich einige der Kräftespiele
reflektieren, die mich nun über so viele Jahre laufend erreichen. Das bedeutet,
next code: crossing hat eine komplexe Vorgeschichte in Themenstellungen,
Diskursen und Ereignissen. Da waren und sind Reaktionen, Einwände auf die und Vorschläge
zu den angedeuteten Kräftespielen.
Zum Beispiel:
Launige Eliten haben 2008 die wie ich lese größte Wirtschaftskrise seit
1929 zustande gebracht. Ein Fiasko, das nicht nur viel über unsere Finanzsysteme aussagt.
Es stellt auch unsere Politik bloß, die Bedingungen zuläßt, zuweilen fördert, dank
derer kleine Kreise von Leuten ganze Nationalstaaten ausplündern können.
Österreich hat eine in der Zweiten Republik frische Tendenz, mit der jeweils aktuellen
Regierung nicht mehr durch die volle Legislaturperiode zu kommen, weshalb manche Herzchen
uns von einer Dritten Republik raunen, deren Weichenstellungen in den aktuellen
innenpolitischen Malheurs deutlich geworden sind. So haben wir 2008 einen
österreichweiten Wahlkampf erlebt, in dem uns allerhand als angeblich reale Bedrohung des
Wohlergehens in Österreich vorgeführt wurde, stärker denn je sogenannte
Ausländerthemen.
Bloß das wirklich Greifbare, zum Beispiel die heranrollende Finanzkrise, war dabei
nicht genannt, thematisiert worden. Oder etwa das rasende Zunehmen von Inkompetenz in
vielen gesellschaftlichen Instanzen, wie es der Künstler Peter Weibel 2008 zur Debatte
gestellt hat.
Es darf offenbar einem großen Teil des meinungsbildenden Personals ein erheblicher
Mangel an Redlichkeit vorgehalten werden. Überdies fanden bei dem, was als eine
Boulevardisierung öffentlicher Debatten erfahrbar ist, nationalistische
Diskurse und menschenverachtende Praxen in einem enormen Ausmaß Platz. Ein Ausmaß, der
Herabwürdigungsmechanik, die nach dem späten 19. und dem gesamten 20.
Jahrhundert als treibende Kraft auf den Wegen nach Auschwitz und Srebrenica eigentlich
umfassend geächtet sein müßte.
Im Rahmen dieser Boulevardisierung finden sich auf verblüffende Art nicht
nur viele antislawische Ressentiments der vergangenen Dekaden wieder. Es konnten auch
erneut negativ konnotierte Klischees Platz finden, die schon vor Jahrhunderten im
habsburgischen Österreich den Okzident vom Orient unterscheidbar machen, ideologisch
trennen sollten. Dabei wurde (im selben Zug) eine Hierarchie zu bekräftigen versucht, die
vom angeblichen Primat eines weströmisch orientierten Christentums ausgehend
letztlich geradewegs den Entwurf eines heidnischen Herrenmenschen
nahelegte.
In next code: crossing möchte ich daher Motive der Überfahrten, des
Überquerens, Überschreitens und Überwindens aufgreifen; selbstverständlich nicht als
ein Trennendes. Konkrete Impulse zu diesem Abschnitt von next code bezog ich
aus dem laufenden Projektgeschehen und aus den regionalen Reaktionen, einem Widersprechen,
das in der Oststeiermark gegen jene Entsolidarisierungstendenzen in unserer
Gesellschaft erfolgte, die spätestens mit der eingangs erwähnten Wirtschaftskrise
allgemein unüberschaubar wurden.
Die ersten Praxisschritte setze ich zu Beginn des Jahres 2009 mit der Annahme, manchmal
müsse man vielleicht recht leise werden, damit einem Menschen zuhören. Das beginnt in
einigen Schaufenstern der Stadt Gleisdorf. (Siehe dazu den Eintrag "Kompetenzverlust
als gesellschaftliches Ereignis" im Labor von kunst OST. [link])