the long distance howl / ncv / seite #35

Chronique scandaleuse: Der Impftermin

Ausschnitt einer Dialogsequenz auf Facebook, geführt von Karin Gmeiner und Franz Ablinger. Karin Gmeiner ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Collaborative Lawyer mit Passion für alternative Streitbeilegungen. Am 10.2.2021 ging ihr merklich der Hut hoch.

Über meinen Kontakt mit Franz Ablinger fand ich auf Facebook folgende Notiz vor, die ich aufgreife, weil sie eine detaillierte Schilderung bietet, die uns aktuelle Praxis veranschaulicht. Siehe dazu auch meine Notiz im Logbuch!
(Martin Krusche)


PLANLOSIGKEIT, DESPEKTIERLICHKEIT, UNFÄHIGKEIT, VERTROTTELTHEIT.

Stichworte zur Impfterminvergabe für über 80ig jährige in Niederösterreich. Ich bin am Explodieren. Mein Blutdruck ist vermutlich in bedenklichen Höhen, weil so viel Irrsinn kaum auszuhalten ist und es sich als neuer Höhepunkt im Covidmanagement darstellt:

Ich habe vor einiger Zeit meine Tanten, Tante Henni (88) und Tante Peppi (91), für einen Impftermin in Niederösterreich vorregistriert. Am Montag dieser Woche erhielt ich um ca 19:20 ein Email vom Absender "NÖ Corona Schutzimpfung" (Notruf NÖ GmbH), dass am 10.02. ab 10:00 eine Buchung eines Impftermines möglich ist. Es gäbe nicht genug Impfstoff. Es gelte first come, first serve. Eine Buchung sei nur online möglich. Zur Erinnerung, es geht um über 80ig jährige. Der Link befand sich in der Email.

Ich und meine Tochter steigen kurz vor 10:00 ein und der Link wird genau nach Atomuhr freigeschalten. Um 10:02 schafft meine Tochter es (bei mir wird zeitgleich angezeigt, dass nur 492 Personen vor mir dran sind). Sie sucht eine Impfstelle aus. Es kommt ein Link zur Buchung des konkreten Termins. Ich schaffe es, diesen zu offen und in jeweils zwei Vorgängen die Termine einzutragen.

Es wird angezeigt, welche Termine vergeben wurden (1. und 2. Teilimpfung). Ich freue mich, wundere mich aber, dass ich keine Namen eingeben kann. Es steht nur der Vermerk "Am Ende des Buchungsvorgangs werden die Daten für jede angemeldete Person erfasst". Es kommt nichts, ich kann nichts anklicken. Ich rufe daraufhin in der Impfstelle (Ordination eines Arztes in Wr. Neustadt) an und man teilt mir mit, es werde vermutlich ein Email kommen.

In einem Telefonat teilte mir Freund Franz Ablinger (mit Spezialwissen IT) mit, dass es ihm genauso gegangen ist und dass es sich so darstellt, dass offenbar jemand anderer schneller war. Also die Termine werden vergeben, ohne sie bei der Eingabe zu blockieren. Das heisst, wenn jemand nur eine Hundertselsekunde schneller ist, hat er gesiegt und einen personalisierten Impftermin. Ein programmiertes Gemetzel also, zumal es sich optisch so darstellt, als hätte man einen Impftermin ergattert. Bin gespannt, was die weitere Recherche ergibt.

Es wird aber noch besser: ich rief dann bei der gebuchten Ordination an. Dort konnte man mir nicht weiterhelfen. Sie selbst hätten keine Einsicht in das Buchungssystem. Sie würden erst am Tag der Impfungen den Impfstoff erhalten und eine Liste mit den gebuchten Terminen und den dazugehörigen Namen.

Wenn das alles so stimmt, dann ist das Chaos vorprogrammiert. Es würden hunderte über 80ig-jährige samt Begleitung vor den Ordinationen campieren und Radau machen, weil sie trotz Terminbestätigung keine Impfung bekommen werden. Es wird dann, um BK Kurz zu zitieren "nicht ohne hässliche Bilder gehen".

Wie kann man nur so verblödet sein. Es scheint keine IT-Kompetenz bei der Notruf.at vorhanden zu sein und auch niemand mit Ahnung von zeitgemäßer Programmierung beauftragt worden zu sein. Und die Landesregierung hat dem System offenbar so zugestimmt. Was heißt das für alle Impfwilligen auch in Zukunft? Ein Kampf um jede Dosis? Ein stundenlanges verharren vor dem Bildschirm jede Woche um vielleicht nach Monaten einen echten Termin zu ergattern?

SO GEHT DAS NICHT! Es ist eine neue IT zu beauftragen, die das auch kann! Nein, das ganze System ist neu aufzusetzen! Es darf nicht ein Wettlauf um Termine sein. Keine geschürte Konkurrenz aller Impfwilligen. Wie auch das gesamte letzte Jahr: es fehlt den Verantwortlichen an allem. An Planung, Vorausschau, Struktur, Organisation und zeitgemäßer Umsetzung.

Mir ist schlecht.

Update: ich habe bei notruf.at angerufen und es wurde mir bestätigt, dass die Termine nicht gültig sind, wenn Personen aufscheinen. Man könne ja nächste Woche es nochmals versuchen! Wahnsinn.

Nachtrag: eine Hotline (Unterhotline des Bürgerservice) nimmt momentan alle Beschwerden auf. sie konnten es selbst nicht glauben, was hier passiert. Sie hätten den Wahnsinn auch erst heute gesehen und wurden ad hoc als Hotline eingerichtet. 02742 9005-14300



Ablinger Franz: Niederösterreich, bei euch brennt der Hut.

Das Online-System zur Vergabe von Impfterminen an über 80-jährige ist der größte IT-Holler, der mir seit dem Spiel "E.T." (1983) untergekommen ist.

NÖ hat eben begonnen, Termine für die Impfung über 80-Jähriger zu vergeben. Zuvor wurden die Personen bereits in einem Onlinesystem vorregistriert. Gestern kam ein mail, dass man heute ab 10 Uhr auf einen link klicken solle, um sich einen Termin auszusuchen. Keine Bange, die Server waren entsprechend dick ausgelegt.

Das Problem ist der Ablauf: Zunächst sieht man eine Liste der Impfzentren, die Termine anbieten, etwa das Primärversorgungszentrum St. Pölten Süd, das 80 Termine anbietet. Dann muss man seine e-mail-Adresse eingeben, bekommt einen Bestätigungslink zu geschickt, dort kann man sich einen Termin für dieses Impfzentrum aussuchen.

Was bei so einem Vorgehen passiert: wenn du bis zum Schritt gekommen bist, wo du dir Termine aussuchen könntest, sind bereits alle weg. Binnen 14 Minuten waren alle verfügbaren Termine ausgebucht. Weil sämtliche 50.000 Pensionisten seit Punkt 10 Uhr exakt dasselbe probieren...

Der nächste Schritt ist, dass die Leute versuchen, Resttermine in Arztpraxen über das ganze Land NÖ verteilt zu buchen. Also nochmal email eingeben, Bestätigungsmail anfordern, bis die mail ankommt, ist der eine Termin, für den man 100 km mit dem Auto fahren müsste, weg. Selten so eine dämliche Organisation gesehen! Sie besagt: sie waren zu langsam, Gnädigste. Zu langsam getippt, sie Dolm. Gehen Sie sch*. Glück hat, wer gamer in der Familie hat. Die Enkerl sind rasch im Anmelden...

So etwas stiftet gewaltig böses Blut im Land, Frau Landeshauptfrau. Wahlen werden heute durch gute Software gewonnen. In OÖ wurden die Ü80 mit einem vorgegebenen Terminvorschlag kontaktiert. Das ist bei knappen Ressourcen viel gescheiter... Man kann den Termin immer noch ablehnen, wenn er partout nicht geht. Aber auch geschäftige PensionistInnen werden der Impfung Priorität einräumen, da bin ich sicher.

Wem so eine Schnapsidee von einem neoliberalen Lottovergabesystem eingefallen ist, der gehört mit dem nassen Fetzen gejagt. Nein, das war kein Politiker, das war vermutlich irgendwer in irgendeiner Softwareschmiede. Weil sich keiner Gedanken über Organisation macht. Und weil das neoliberale Denken schon sehr weit in den Alltag vorgedrungen ist und sich in Software manifestiert.

Ärzte können in diesem System nur Impftermine reinstellen, sehen aber nicht, wer dafür angemeldet ist. Eine entsprechende Liste erhalten sie am Tag der Impfung. Sie können daher keine Auskunft geben, ob eine Buchung geklappt hat...
Das wird alles immer bizarrer, je mehr ich darüber erfahre.

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