the long distance howl / ncv / seite #19

Posieren und Töten

Was sich derzeit an Nachrichten und Zuständen vermengt, schmeißt mir meine Abläufe völlig durcheinander. So dringt die Welt in mein Rückzugsgebiet ein. Natürlich könnte ich Leitungen kappen, Kanäle schließen. Aber wie und wieso soll ich mich dem entziehen, was gerade alle unsere Lebensbereiche durchdringt? (Es verzehrt bloß meine Kräfte.)

Ich hab erst kürzlich in einem Gespräch angemerkt, daß ich derzeit völlig ratlos bin, was ich da fühle. Es ist sehr verwirrend. Wäre ich nur für mich, könnte ich darüber den Verstand verlieren. Wo ich mich aber mit vertrauten Personen darüber austauschen kann, bleibt dieses verwirrende Gefühl als Reaktion auf das Weltgeschehen in der Schwebe, ohne mich zu erdrücken.



Profi der russischen Sily spetsial’nykh operatsii.

Aber es verschafft mir rund um die Uhr Schweißausbrüche. Das ist alles weder harmlos, noch moderat. Es gibt freilich gute Gründe, warum das Herz der Finsternis auf mich eine große Anziehung ausübt. Also darf es, muß es in meine Arbeit einsickern dürfen. Wie passend, daß ich diesen Projekt-Abschnitt vor einer Weile „New Concept Vertigo“ genannt hab.

Das erste Foto auf dieser Seite zeigt einen Angehörigen der Sily spetsial’nykh operatsii (SSO), was aus dem Russischen mit „Einheiten für Spezialoperationen“ übersetzt werden kann. So sehen heute Profis in regulären Verbänden aus, aber auch bei privatwirtschaftlich geführten Sicherheitsfirmen.



Kommandant der al-Nusra Front in Idlib.

Spezialeinheiten, Söldner, aber auch blasse Buben in Wohnzimmern, wenn sie „Call of Duty“ spielen, „Modern Warfare“ strebern und „Special Ops“ durchspielen, kreisen derzeit um die gleichen visuellen Codes.

Ein anderes Foto zeigt einen Kommandant (field commander) der al-Nusra Front. Die Einsatzkräfte von Freischaren sehen oft so aus, wie ein beliebiger Nachbar, der gerade von ermüdender Arbeit kommt. Ich habe unzählige Videos und Fotos vom Untergang Jugoslawiens gesehen, da scheinen die Freischärler vom Geschäft des Tötens unübersehbar gezeichnet.

Aber nur wenige neigten zum Posieren, wie Babyface Zeljko „Arkan“ Raznatovic in ein paar Situationen, wenn er seine „Tigrovi“ um sich geschart hatte. Einer der bedrohlichsten War Lords jener Zeit, Ratko Mladic, sah genau überhaupt nicht furchterregend aus, sondern eher wie ein melancholischer Bauer.



Wiener Video-Clipper. Oder: der Poser möchte gefährlich wirken.

Ich neige zur Ansicht, daß der Profi des Tötens eben nicht gefährlich aussehen muß, weil er es ja ist. Er haut auch keine markigen Sprüche raus, weil schon sein Blick oder ein leises Schnalzen mit der Zunge jemanden das Leben kosten kann. Sein Outfit wird den Anforderungen der Profession angepaßt sein, nicht den Dress Codes aus Action Filmen.

Und dann dieses Foto vom Wiener Attentäter. Ein Posieren. Die Selbstdarstellung wie aus einem Gangster Rap-Video. Genauer: eine Popkultur-Pose. Aber der Reihe nach! Ich war letztes Wochenende mit einer Umstrukturierung meiner Arbeitsvorhaben für 2021 beschäftigt.



Video-Star: der Mörder von Halle hielt sein Tun für so wesentlich, daß er es von seiner Helmkamera ins Web übertrug.

Während ich diese Zeilen verfasse, sind wir bei Tag zwei des neuen 2020er Lockdowns angelangt. Amerika hat eben gewählt. Obwohl noch nicht annähernd alle Stimmen ausgezählt wurden, hat Donald Trump die Welt schon wissen lassen: „We were getting ready to win this election; frankly we did win this election.”

Trump behauptete kühn, es sei Wahlbetrug im Spiel: „This is a major fraud on our nation. We want the law to be used in a proper manner. So we’ll be going to the US Supreme Court.“ Das ist nicht das einzige verstörende Ereignis dieser Stunden. Der Lockdown, die Wahlen und…

Gestern war in Wien ein junger Mann mit Machete, Pistole und automatischem Gewehr losgezogen, um zu töten. Er hatte sich davor als Gefolgsmann von Daesh deklariert. Der junge Kerl meinte, als ein Soldat des Kalifats Gottes Werk zu tun. Das bezahlten vier unschuldige Menschen mit ihrem Leben.

Es dauerte nicht lange. Der Moslem war zum Glück im Waffengang nur schlecht trainiert. (Übrigens ähnlich dem Stümper von Halle.) Er starb in einem Schußwechsel mit der Polizei. (Siehe dazu auch meinen Logbuch-Eintrag "Terror"!)

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