4. November 2020
Terror
Nichts beschmutzt die Seele so
sehr wie das Töten. Ich denke, diesen Satz hab ich in einem
Film aufgeschnappt, weiß aber die Quelle nicht mehr. (Klingt
ein wenig nach Shakespeare.) Es gibt reichlich Dokumente,
die ganz unmißverständlich darauf hinweisen, daß es einen
irreversibel verändert, wenn man Leben nimmt.
Dieser
Umstand illustriert den Wert von Frieden und er
unterstreicht die Bedeutung der Mittel, die es dazu braucht.
Ich war überrascht, vor einer Weile davon zu lesen, daß
Untersuchungen zeigen, wie sehr sogar das
Fleischhauerhandwerk in einem modernen Schlachthaus von
solchen Effekten geprägt sei: das Töten verändert Menschen.
Eine Headline von Bild live
lautete gestern: „Terroranschlag in Wien: Nach 9 Minuten war
der Täter tot“. Es mußte für den jungen Mann absehbar
gewesen sein, als er sich ein automatisches Gewehr beschafft
hatte, dazu eine Pistole, in die Wiener Nacht hinausging und
das Morden begann.
Ich war von Tempo und Schlagkraft
der Polizei überrascht. Die Kolportage besagt, daß diese
erwähnten neun Minuten vom ersten Anruf bei der Exekutive an
gezählt worden seien. Dann waren die rund 20 Jahre
Lebenszeit des Mörders um. Das ist nicht einmal ein Drittel
der Zeit, die ich auf der Welt bin.
Er war jünger als
mein Sohn. Ich spüre so deutlich, wie sehr ich an meinem
Leben hänge. Daher erschreckt es mich, daß jemand seines
nach so wenigen Jahren in einer derart obszönen Pose
verwirft und aufgibt, dabei auch andere Menschen tötet.
Wenn zutrifft, was die Gerüchte besagen, dann wollte
dieser Mann früher schon mit Daesh in den Krieg ziehen.
Natürlich denke ich: ein Kind. Aber so ist es nicht. In der
Geschichte galten auch bei uns junge Männer mit 15 als im
waffenfähigen Alter. Wenn man einrechnet, daß rund um das
Jahr 1800 der Männer Durchschnittsalter in Europa 30 war,
ist das nicht überraschend.
Einer der jüngsten Soldaten des
amerikanischen Bürgerkriegs, von dem noch heute Fotos
herumgereicht werden, war ein damals zehnjähriger Lance
Seargent namens
John Lincoln Clem, der alles überlebte und 1915 zuletzt als
Brigadegeneral diente.
Ich bin mein Leben lang in
Propagandamaterial getaucht worden, welches einem vorgaukeln
möchte, das Töten könne eine leichte Sache sein. Die
Filmbranche quillt davon über. Schnoddrige, oft zynische
Kerle, längst auch gut trainierte Frauen, töten mit einem
Lachen, hauen dabei patzige Sprüche raus, hüpfen herum, als
wären sie absolut schußfest.
Oder es wird im Rudel
gefeuert, daß ich mir die Augen danach ausschaue, wo die Leute
stecken, welche ihnen all die Munition hinterherschleppen. Ein
Phantasie-Geballere mit einer Firepower, als säßen die
fröhlichen Killer in einem mit Schnellfeuerkanonen
bestückten Kampfhubschrauber.
Lance Seargent John Lincoln Clem
[Das ganze Foto]
Das
Hydraulik-Singen der rotierenden Läufe haben Sie gewiß schon
einmal im Kino oder zu Hause, auf der heimeligen Couch,
gehört. (Falls nicht, geben Sie bei Youtube „rotary
autocannon“ ein.) Haben Sie schon einmal
mit Menschen gesprochen, die im Kampfeinsatz gewesen sind?
Das sind ruhige Gespräche. Dabei kamen mir noch keine Kerl-Posen und patzigen Sprüche
unter. Die Actionfilme lügen. Es ist "Kerl-Propaganda".
Sehen Sie sich eventuell nach der
Afghanistan-Dokumentation „ Restrepo“ um. Sehr
empfehlenswert, um einen Eindruck zu erlangen, was bloß ein
einzelner Toter nach dem Schußwechsel an dessen Kameraden
bewirkt. Der Film „ Father Soldier Son“ schildert
unmißverständlich, was das Kriegshandwerk an
Afghanistan-Veteran Sgt. First Class Brian Eisch angerichtet
hat.
Damit will ich sagen, wenn das Schießen beginnt, berührt uns
ein Ernst in menschlicher Gemeinschaft, der leichtfertige
Äußerungen eigentlich verbietet und uns alle fordert, an der
Frage zu arbeiten, was sich beitragen läßt, daß ein von
allen guten Geistern verlassener Mensch uns nicht als seine
Feinde sehen muß. Was aber das Schießen angeht, haben
wir in unserer Demokratie das Gewaltmonopol dem Staat
übergeben, der dafür Professionals beschäftigt. Das finde
ich gut so. Wer sich als erregte Privatperson eine Knarre
erträumt, hat in der Regel keinen Tau, womit man es dabei zu
tun bekommt.
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