the long distance howl / ncv / seite
#17
Martin Krusche
(Autor)
Da sind sie wieder,
diese unsinnigen Banderolen, erneut von der Werbebranche
ausgegeben: „Ohne Kunst & Kultur wird’s still“. Schon
der erste Satz, mit dem die Firma ihr Produkt bewirbt, ist
inhaltlich falsch: „Aktuell liegt die Kunst- und Kulturszene
brach.“
Mein Tun liegt nicht brach, auch das von
unzähligen anderen Aktiven, mit denen ich verbunden bin, nicht.
Wir haben bloß eine Krise, die mit enormen Belastungen
einhergeht. Und das vertieft die branchenüblichen Probleme, wie
sie seit Jahrzehnten Bestand haben.
Was dieses schlampige Werbegeschwätz illustriert,
ist die fälschliche Gleichsetzung von Kulturmanagement und
Kultur. Natürlich sind viele Kulturbetriebe seit dem ersten
Lockdown zusammengebrochen und andere werden jetzt davon
bedroht. Das ist unbestritten.
Sprücheklopfen ersetzt kulturpolitische Diskurse und Konzepte.
Aber Kulturmanagement ist genau KEIN
Synonym für Kultur. Und was die Kunst sei, wird von diesen
Leuten großzügig daruntergemischt. Was für eine Zumutung!
Erstaunlich, wie
sehr hier unter solcher Flagge vor allem ein Produkt beworben
wird und offenbar tausende primäre Kräfte des Kunst- und
Kulturbetriebes sich gratis als Werbeträger anbieten.
Das
macht der weitere Werbe-Sprech anschaulich: „Tausende Menschen
können ihrem Beruf nicht nachgehen und ihre Existenzen sind
bedroht, aber auch die kulturelle Vielfalt ist in Gefahr. Das
führt zu geistiger Armut in der Gesellschaft. Alle sind von
dieser Krise getroffen, aber keine Branche trifft es so hart wie
die Kunst- und Kultur.“
Das ist ein
ärgerliches Geschwätz,
in dem Kraut und Rüben vermengt werden, um eine Stimmung
aufzubauen, die das Angebot dieser Firma begünstigt. Wir sollten
bei aktuellen Problemlagen merklich präziser sein. Die
zunehmende „geistige Armut in der Gesellschaft“ hat unter
anderem zwei große Ursachen:
a) Ein sehr teures, schwer
angeschlagenes Bildungssystem, das sich Reformen offenbar seit
Jahrzehnen wiedersetzt, dabei auch gleich viele Arten
engagierter Lehrerinnen und Lehrer verbrennt.
b)
Weit Kreise von Politik und Verwaltung machen die Kunst zur Magd
von Marketing. Sie demütigen Kunstschaffende auf die Art,
entziehen ihren wirtschaftlichen Grundlagen dabei Mittel, um sie
für ihre PR-Arbeit zu verwenden.
Das hatten wir im ersten
Lockdown schon. Effekt? Nahe null.
Das fügt sich reibungslos in Tendenzen, unser aller Leben
umfassend zu ökonomisieren. Es ist durchaus schlüssig, daß dann
solche Kampagnen auftauchen. Chefin Maria Paz Caraccioli
Gutierrez läßt wissen: „Mit unserer Kampagne möchten wir in der
Gesellschaft Bewusstsein schaffen für die aktuelle Situation
unserer Kunst- und Kulturszene.“
Aha! Bewußtsein
schaffen! Mehr so wie Lenin oder so wie Goebbels oder wie jetzt?
Ja, genau! So ernst und so heftig meine ich das. Ideologie und
Propaganda!
Ich lese: „Wir hoffen auf Verständnis für die
betroffenen Menschen und Kulturschaffenden, möchten sie sichtbar
machen und ihnen Wertschätzung entgegenbringen. Der
Meinungsbildungsprozess soll positiv gestärkt werden und die
Bedeutung von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft wieder
gefestigt werden.“
Mumpitz! Sowas macht man nicht mit
einer Werbekampagne, sondern mit konsequenter inhaltlicher
Arbeit und kulturpolitischen Diskursen von Relevanz, die
öffentlich geführt werden. Sowas macht man mit kontinuierlicher
Wissens- und Kulturarbeit. Sowas macht man mit künstlerischer
Arbeit von Belang.
Da können dann PR-Arbeit und Marketing
durchaus begleitend und verstärkend andocken. Aber hier wedelt
der Schwanz mit dem Hund. Ich traue diesen Anbietern keine fünf
Meter weit.
Das ganze Merchandising, die gefälligen
Produkte, die flotten Sprüche, die gutaussehenden Exponentinnen
und Exponenten… ich muß mich sehr wundern, wer sich alles
kostenlos zum Werbeträger dieser Firma macht
+) Siehe dazu auch die Notiz vom 7.
Mai 2020, über Toni
Morrison, Systemrelevanz und die Feststellung:
Die
Kunst schweigt nie!
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