Der kurze Sommer des Automobils / Seite 11

Ich muß gestehen, mein Fahrrad ist weit sportlicher als ich. Die Entscheidung dafür war hier pragmatisch und da emotional. Der überwiegende Teil meines Arbeitstages spielt sich Tag für Tag am Schreibtisch ab und ich komme in die Jahre. Es war wohl schon bei meiner Geburt klar, daß ich an Sport nichts finde.

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Daher schien mir ein Fahrrad die passable Lösung, um sozusagen im Sitzen gehen zu können. Aber ein bequemes Holland-Rad kam nicht in Frage, denn bequem sitze ich ja ohnehin schon an meinem Schreibtisch. So fiel die Entscheidung für ein zickiges Rennrad, das es einem nicht allzu leicht macht. Ein schlankes, kippeliges Maschinchen mit einem Rahmen aus bestem Stahl, von der Marke her passend zu meinen inhaltlichen Schrullen.

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Valentin Eggbauer mit meinem Austro-Daimler Alpina

Es ist ein Austro-Daimler Alpina, "Made by Puch", das ich von Valentin Eggbauer gekauft habe. Eggbauer fährt gerne luftgekühlt, VW Typ 1 und Typ 2, und betreibt ein Museum bäuerliches Handwerk, eine üppige Wunderkammer, und sorgt nach Kräften dafür, das gediegene Dinge nicht gleich auf der Schutthalde landen: [link]

Nun ist mein Strampler ein nettes Maschinchen gemessen an dem, was Verleger Richard Hollinek bevorzugt, wobei sein Vent Noir II werte Verwandtschaft aus dem gleichen Stall ist

Sein Fuhrpark und seine physische Verfassung  handeln von einer ganz anderen Kategorie als meine: "Jetzt habe ich so um die 15 räder die fix bei mir bleiben. Darunter die spanischen Zeus rennräder, meine Cinelli, meine wiener select, mein vent noir II, mein BMX Robinson Pro Team…"

Aber davon erzähle ich später noch ausführlicher. Mir fehlt übrigens auch jene Schrauber- Leidenschaft, die ein Klassiker eigentlich zwingend erfordert, und die sich auf dem Fahrradsektor etwa so äußert wie bei Hollinek: "mir taugt am basteln an rädern die möglichkeit aus einem völlig verdreckten teil, zb einer schaltung, wieder was zu machen, das nach reinigung, pflege, fetten, einstellen wieder so wie am ersten tag funktioniert (rein mechanisch)."

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Austro-Daimler Vent Noir II (Foto: Hollinek)

Falls sich jemand fragt, was all das mit Automobilen zu tun hat, die Autos gingen aus der Fahrradwelt hervor. Dort wurden wichtige technische Grundlagen geschaffen, die Beherrschung des Materials geübt etc. Die frühen Voiturettes hatten vieles aus der Fahrradwelt übernommen.

Wenn auch der Konzern nie widerspricht, wo der Patentwagen von Carl Benz als "erstes Automobil" gelobt wird, verschweigt das nicht bloß den Dampftraktor von Cugnot, das unterschlägt auch, was über die Arbeit von Benz zu sagen wäre. Er hat kein Auto gebaut, sondern ein Fahrrad motorisiert.

Klar, das war keine geringe Leistung, zumal auch der Anlaß für die erste motorisierte Fernfahrt, die ja von einer Frau gemacht wurde, von Bertha Benz. Wer sich gerne hervortut, daß Frauen und Autos nicht gut zusammengingen, hat von der Geschichte des Automobils keine Ahnung.

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Clärenore Stinnes mit ihrem Adler Standard 6 (Foto: dpa)

Die erste Weltumrundung der Automobilgeschichte hat übrigens auch eine Frau erledigt: Rennfahrerin Clärenore Stinnes. Die war eindeutig härter drauf als ihre männliche Begleitmannschaft; siehe: [link]

Zurück zu meinem Rad und meinen Gleisdorf-Umrundungen, bei denen ich den Kopf wieder freibekomme, wenn ich zu lange am Computer saß. Da hatte ich gestern einen merkwürdigen Moment. Als ich von der Hauptstraße abbog, kam ich an diesem neuen Stellplatz eines regionalen Händlers vorbei.

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Dort steht diese rundgelutschte Allerwelts-Karre, der man auf Abstand nicht ansehen kann, welche Marke das sein will. Formal völlig belanglose Massenware, die genau so vermutlich weite Bereiche eines Publikumsgeschmacks trifft. Und was will ebeb dieser absolut verwechselbare Bürgerkäfig sein? Ein Individualist.

Das sagt unter anderem, die Industrie greift völlig beliebig auf unsere Begriffe und Emotionen zu. Da wird kühn hineinbehauptet, koste es, was da komme. Es sollte einem freilich zu denken geben, wenn man angeboten bekommt, in völliger Unscheinbarkeit als Individualist gelten zu dürfen. Siehe zum Thema rundgelutscht übrigens auch meine Notiz zu einem jungen Gassenfund, dem chinesischen Qoros: [link]


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