30. September 2024
Nach dem Wahltag
Es mißfällt mir sehr, wenn Andersdenkende beschimpft werden,
da einem der aktuelle Wahlausgang nicht paßt. Mir paßt er
auch nicht und daß ich dieses vorläufige Wahlergebnis sehr
beunruhigend finde, muß ich wohl nicht weiter betonen. Das
rechtfertigt aber keine abschätzigen Verwünschungen via
Massenmedien.
Dieser offensichtliche Rechtsruck
unsres Landes fiel nicht vom Himmel. Es ist seit den 1980er
Jahre sehr gut dokumentiert, wie sich quer durch Europa eine
Neue Rechte formiert hat, aufgebrochen ist, um in allen
gesellschaftlichen Instanzen anzukommen. Wer nicht kommen
sah, was wir nun haben, ist entweder ein Agent der Blödheit
oder ein politischer Sofasurfer, der sich vorgemacht hat,
die Demokratie sei uns geschenkt.
Quelle: Stadt Wien.
Wer sich jetzt zum Beispiel via Social Media
über eine rechtsgerichtete Wählerschaft
herablassend äußert, diese Leute beschimpft,
müßte gefragt werden: Weshalb hast du die
Demokratie im Stich gelassen? Wo warst du
denn wenigstens die letzten fünf Jahre im
öffentlichen Leben, in den öffentlichen
Diskursen, um dich erkennbar gegen diesen
Rechtsruck zu stellen? Was also war
dir diese Demokratie an persönlichem Einsatz
wert, um gegen ihre Beschädigung zu
vorzugehen? Wie erwähnt, über die Vorhaben
und Erfolge der Neuen Rechten in ganz Europa
konnte man genug wissen, weil das seit Ende
der 1980er begleitet, beforscht und
dokumentiert wurde. In meiner Bibliothek
stehen Bücher aus den frühen 1990ern, die
das behandeln. In deiner auch?
Es ist schon lange kein Geheimnis,
wohin die Reise gehen soll..
Um Debatten aus jüngerer Zeit zu
strapazieren: Hat uns nicht Historiker
Yuval Noah Harari unmißverständlich
darauf hingewiesen, daß wir in einem
enormen Umbruch stecken? Waren es erst
der Faschismus und der Stalinismus, die
sich als Narrative von der liberalen
Demokratie als neuer Erzählung ablösen
lassen mußten, so sei es nun das
Narrativ der liberalen Demokratie, das
sich erschöpft habe. Da erscheint
es mir nun billig, jene, die nach rechts
gehen, zu beschimpfen, während man sich
selbst davon freistellt, Rechenschaft
abzulegen, weshalb man der liberalen
Demokratie nicht beigestanden hat. Wie
passend, dazu Sartre zu zitieren:
„Die Hölle, das sind die anderen.“
.
In FPÖ-Kreisen wohlgelitten: die
Identitären.
Da ich, was den Faschismus angeht,
mit den Originalen aufgewachsen bin,
darunter ein paar beherzte Nazi, die
recht alt wurden, ohne ihre
Weltsicht je zu revidieren, fühle
ich mich mit den Zeichen und
Strategien dieser Leute gut
vertraut. Von Victor
Klemperers „LTI – Notizbuch eines
Philologen“, einem sehr
aufschußreichen Werk über die
„Lingua Tertii Imperii”, bis zu
jungen Publikationen über rechtes
Denken mangelt es nicht an
verständlichen Beiträgen zum
Entschlüsseln der polemisch
verbrämten Niedertracht.
Die Identitären im Bezirk Weiz.
Das zu begreifen genügt freilich
nicht. Es verlangt nach aktiven
Gegenpositionen. Ich mache es gerne
mit folgendem Bonmot anschaulich,
Wenn über den Toren etlicher KZ
dieses zynische „Arbeit macht frei“
stand, durften wir daraus schließen,
daß Freiheit Arbeit macht.
Vielleicht könnten wir uns in
größerer Zahl dieser Aufgabe widmen,
statt den Andersdenkenden zu
erklären, was uns an ihnen nicht
paßt. Oder um Michael Crichton aus
einem seiner Unterhaltungsromane zu
zitieren: „Lösen sie nicht die
Schuldfrage, lösen sie das Problem!“
[ Fortsetzung]
+)
Die Steiermark am Wahltag
(Quelle: Kleine Zeitung) +)
Rechtsruck (Die Kolume)
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