25. Juli 2024

Archipel, nicht Atlantis

Hinter mir liegt ein Halbjahr von atemberaubender Brisanz. Das ist nicht metaphorisch gemeint. Da konnte mir im Sinn des Wortes manchmal die Luft etwas knapp werden. In den bisherigen 2024er Monaten lag ein Tempo und eine Menge an Terminen, die zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt haben.

Ich mag das allerdings so bald nicht noch einmal erleben, denn es drängt alles andere beiseite und kann abschnittweise sehr belastend werden. Da wird eine Diskrepanz der Genres wirksam. In der Projektarbeit kommen die Dinge auf solche Art gut voran. Ich bin mit den Ergebnissen zufrieden und was uns als Archipel-Team gelungen ist, hat mir Vorteile gebracht. Aber für die primäre Arbeit wäre das der Tod, wenn es sich nicht auflockern, aufbrechen ließe.


Ich weiß es auch von anderen Professionals. Etwas zu erdenken, zu entwickeln, zu formulieren, es zu überarbeiten, in eine schlüssige Form zu bringen, das verlangt einen Flow, der beim Teufel ist, wenn zum Beispiel dauernd Telefonanrufe hereinkommen oder sonstige Unterbrechungen stattfinden.

Ähnliches geschieht, müßte ich mich über Wochen stets mit den gleichen Themen, Gedanken, Begriffen befassen, die gleichen Sätze aufarbeiten. Da verlöscht der Geist, neue Ideen sind nicht mehr möglich, die Fehlerquote steigt. Es ist also vollkommen unverzichtbar, sich in solchen Prozessen auch mit ganz anderen Dingen zu befassen.


Das sollte Ihnen zum Beispiel aus dem Alltag bekannt sein. Der Klassiker: Sie kommen in einem Gespräch einfach nicht auf einen bestimmten Begriff oder Namen. Sie haben das Ding beziehungsweise den Menschen vor Augen, finden aber das richtige Wort nicht. Kurz darauf, Sie haben sich mit ganz anderen Dingen befaßt, ist das Wort plötzlich da.

Unsere kognitive Ausstattung ist so gemacht. Das wird gute Gründe haben. Daher kann ich mich zum Beispiel nicht Wochen oder Monate lang mit unserem Archipel befassen. Ich würde in so einem Durchgang temporär verblöden.

Außerdem verlangt es mein Beruf grundsätzlich, neue Eindrücke zu suchen, Informationen zu verarbeiten, Anregungen zu gewinnen. All das, um daraus einen Wissensgewinn zu generieren. Ich arbeite hauptsächlich mit immateriellen Gütern. Das spielt sich im Kopf und in meinem Emotionen ab, ist also auch körperlicher Natur.


Darin lag unter anderem der cartesianische Irrtum. „Ich denke, also bin ich“ geht sich keinesfalls aus. Es ist die Arbeit am ganzen Leben, wobei auch der Leib mitmischt. So werden dann zum Beispiel Texte. Egal, ob Konzepte, Features, Essays, Romane oder Gedichte. Text ist Text, braucht die hier skizzierten Bedingungen, nimmt ein Stück des Lebens in Anspruch.

Es ist ein grundlegend anderer Job als etwa Waren in Regale schlichten, Modeartikel verkaufen, Waschmaschinen zu reparieren. Für all das sollte man auch smart sein, aber es ereignet sich nicht in gleicher Weise.

Ich hab übrigens immer wieder mit Menschen zu tun, die genau zu wissen meinen, wie ich meinen Job machen sollte. Manche von ihnen denken sogar, andere sagen es schließlich: „Ich kann das auch“. Doch sie können es nicht, bleiben jeden Beweis solcher unüberprüften Annahmen schuldig.


Ich kann es, weil ich es seit fast 50 Jahren mache und mich darin übe, wie es auch Primgeiger oder Ballerinas machen. Annähernd täglich und auf mehreren Ebenen. Daher muß man mir nicht erklären, wie das gemacht wird. Aber wenn es wer besser weiß, mach ich es eventuell gerne anderes.

Das muß jedoch aus der Praxis kommen, nicht aus Mutmaßungen. Autor Miguel de Cervantes soll gesagt haben, was ich nur in der englischen Version kenne: „The proof of the pudding is in the eating”. [Fortsetzung]

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