4. Dezember 2023

Leben in der Kunst II

Wie kommt es, daß sich in der Steiermark seit wenigstens 30 Jahren kein halbwegs kontinuierlicher kulturpolitischer Diskurs entdecken, womöglich nachweisen läßt? Muß ich annehmen, dies sei vor allem eine akademische Frage und für den Kulturbetrieb wenig nützlich?

Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Es ist die Brisanz des Themas, die uns hemmt, so einen Diskurs wieder einmal Richtung Höhe der Zeit zu hieven. Ich hab in meiner gestrigen Glosse von einem Gespräch mit Graphic Novelist Chris Scheuer erzählt.



Was tut ein Künstler und wozu?

Mir sind solche Begegnungen sehr willkommen, um innerhalb unseres Metiers gelegentlich überprüfen zu können, welche Auffassung von Professionalität etwas taugt, worauf man als Künstler sein Selbstverständnis stützen könnte.

Seit ich Teil dieses Betriebes bin, erlebe ich, daß manchmal Teile eines intellektuell nicht gar so leistungsfähigen Bildungsbürgertums sich erstaunliche Spießerfantasien gönnen, was das Thema Kunst betrifft. Das wäre kein Problem, wenn diese Perlen der Gesellschaft darauf verzichten könnten, ihre Erwartungen anderen aufzudrängen; also etwa Leuten wie uns.

Ich habe gestern betont, wir beide, Scheuer und ich, seien völlig Old School. Die Grundlagen unseres Lebens in der Kunst seien das Obsessive, das Handwerk und Inhalte, Inhalte, Inhalte. Das halte ich für Kategorien der Kunst. Broterwerb ist dagegen eine soziale Kategorie und hat mit den Fragen der Kunst nur am Rande zu tun.



Der Künstler als Müßiggänger. (Grafik: H. Payer)

Ich finde zu all dem das Denken von Pierre Bourdieu sehr anregend. Er hat verschiedene Kapitalsorten benannt, wobei er das Wort Kapital nicht im marxistischen Sinn verwendet. Er meint mit Kapital generell die Früchte menschlicher Anstrengungen. Entsprechend unterschied Bourdieu zwischen sozialem, ökonomischem, kulturellem, symbolischem und affektivem Kapital. Siehe dazu: [Link]

Menschliches Wollen und menschliche Anstrengungen haben eben sehr verschiedene Intentionen und Ergebnisse. Für all das gibt es Märkte, auf denen materielle und immaterielle Güter gehandelt werden.

Der Staat begleitet und verstärkt in unser aller Namen manche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Etwa das Gesundheitswesen, Bildung, Kultur etc. Das bedingt einen hohen Aufwand öffentlicher Mittel. Daher brauchen wir politische Debatten, um immer wieder zu klären, mit welchen Zielsetzungen welcher Mittelaufwand betrieben werden möge.



Könnte das Nachdenken ein Beruf sein?

Das ist eine wesentliche Funktion kulturpolitischer Diskurse, die es folglich geben müßte; und zwar als öffentliche Debatten. Die aktuelle Mediensituation gibt uns dazu jedes wünschenswerte Mittel in die Hand. Es gilt die Faustregel: Wenn wir, die primären Kräfte, das nicht klären, werden es Politik und Wirtschaft gerne für uns erledigen. (Oder aufgebrachte Bildungsbürger.)

Wenn dann gelegentlich interessierte Laien hereingrätschen, könnte man auf anregende Inputs aus der Zivilgesellschaft hoffen. So ist ja die Republik mit ihrer Demokratie gedacht: Möglichst alle Menschen sollen an einem öffentlichen politischen und kulturellen Leben teilnehmen.

+) Kulturpolitik (Notizen)