26. Juni 2023

Herz der Finsternis

Endlich ein überaus würdiger Anlaß, um diesen Satz in die Welt zu brüllen: „Das kannst' nicht erfinden!“ Innerhalb bloß einer Kalenderwoche wuchten sich gleich zwei Duos von Alphamännchen auf die Bühne des internationalen Geschehens, um die vorherrschende Männerkultur zu feiern. Und zwar in Kategorien des 19. Jahrhunderts, was illustriert, wo wir mit einem Teil der Gesellschaft stehen.


Da wären einerseits zwei Wirtschaftsbosse im Tycoon-Rang, wovon jeder über so enorme materielle und immaterielle Mittel verfügt, daß eigentlich vor allem männliches Ego bleibt, um ihr Verhalten zu erklären.

Da wären andrerseits zwei hochkarätige Gewalttäter, der einem auf dem Schlachtfeld gehärtet, ein Condottiere wie aus dem späten Mittelalter, der andere ein Schreibtischtäter und präsumptiver Kriegsverbrecher.

Haben Sie schon erraten, wen das meint? Alle vier Primaten sind unter anderem auch Gegenstand unterschiedlicher Arten der Verehrung. Quasi Helden diverser Genres. Was macht sie zu Duellanten und weshalb geschieht das vor den Augen der Weltöffentlichkeit?

Ich weigere mich, über die Intentionen solcher Pfeifen ausführlicher nachzudenken. Ich betrachte sie lieber in einem soziokulturellen Zusammenhang. Regisseur Ridley Scott hat sich dem Thema gewidmet. Sein Film „Die Duellisten“ (1977) zeigt uns mit Harvey Keitel, Albert Finney und David Carradine die Erbärmlichkeit dieser Form, den männlichen „Stolz“ zu feiern und männliche „Ehre“ zu bearbeiten.


Vor ihm tat das Arthur Schnitzler meisterhaft. In der Weihnachtsbeilage der Wiener Neuen Freien Presse erschien anno 1900 die Novelle “Lieutenant Gustl”. Die brillante Beschreibung eines neurotischen jungen Mannes mit einem völlig verpeilten Ehrbegriff, übrigens 1966 von John Olden verfilmt: [Link]

Nun also Elon Musk und Mark Zuckerberg (Eintrag vom 23. Juni 2023). sowie Jewgeni Prigoschin und Wladimir Putin (Eintrag von 25. Juni 2023). Musk/Zuckerberg war wohl nur als Kommentkampf angelegt, der klären sollte, daß sie beide „harte Kerle“ sind, wobei es völlig egal ist, wer der härtere ist, weil sie beide als Unternehmer über große Wirkmächtigkeit verfügen.

Prigoschin/Putin ist die anschauliche Demonstration dessen, was Faschismus im Kern ausmacht. Ich hab keine Ahnung, wie Prigo das überleben will. Ich kann es mir nur so erklären, daß er als Teil eines mächtigen Konsortiums gehandelt hat. Offenbar eine Gruppe, die sich zutraut, den russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Putins Kamarilla herauszufordern.



Im Käfig (Foto: Nestor22ns, CC BY-SA 4.0)

Von Putin wissen wir jetzt, wissen aber auch sehr viel mehr Leute in Rußland, daß er nicht der geniale Feldherr und harte Hund ist, für den er sich offenbar selbst hält. Seine strategischen Fehler waren eben zu eklatant.

Beide Vorfälle promoten politische Konzepte einer illiberalen Demokratie, in der zwar Wahlen stattfinden, aber ein funktionstüchtiger Staat nicht primär dem Gemeinwesen Dienst, sondern Machtkartellen.

Das hat viel mehr vom Faschismus, als man befürchten konnte, ergo geht es uns alle an, weil es uns alle betrifft. Ein Kraftakt der Seele einer vorherrschenden Männerkultur, kurz: das Herz der Finsternis. (Ja, so der Titel eines Romans von Joseph Conrad, in Blackwood's Magazine 1899 erstmals veröffentlicht.)