3. März 2023

Der hybride Krieg IV

Halten wir fest: aus Rußland und aus China kommen permanent Botschaften, die dem Westen mitteilen: „Die Demokratie muß weg!“ Im Westen schließen sich manche Krise dieser Position an. („Reichsbürger“ etc.) Das ist ein hegemoniales Kräftespiel.

Mir wurde in diesem abgelaufenen Kriegsjahr allerhand erzählt, was ukrainische Eliten vorab an Kriegsgründen geliefert hätten. Kriegsgründe? Welche guten Gründe soll es denn für einen Angriffskrieg geben? Noch dazu seitens einer militärischen Großmacht gegenüber einem wesentlich kleineren Staat: Die Ukraine zählt - ohne die annektierte Krim - rund 41,8 Millionen Seelen. In Rußland sind es 144,5 Millionen.



Ulrich Menzel: “Imperium oder Hegemonie?”

Ich bekomme auch vieles erzählt, was man den USA an Verfehlungen vorzuhalten habe. Menschenrechtsverletzungen, imperialistische Außenpolitik, Special Ops, Black Sites etc. Danke! Ich bin im Bilde. Wäre noch unterzubringen, was im weltweiten Nord-Südgefälle wohlhabende Länder zu Lasten ärmerer Nationen konsumieren und was der Kapitalismus dabei bewirkt.

Ich bin intellektuell nicht gerüstet, all diese Themen in einer gemeinsamen Debatte zu behandeln, muß schrittweise vorgehen. Noch dazu, wenn meine Gegenüber mir zwischen den Teilthemen unberechenbar herumspringen. Das nennt man Whataboutism. Man nimmt sich ein bestimmtes Thema vor und mittendrin ruft jemand: „Aber was ist mit...?“ Also: „What about...?“ (So simuliert man einen Diskurs.)

Ich muß mir große Themen nach und nach erarbeiten, um dann zu schauen, welche Dringlichkeit dabei welches Teilthema auf meinen Listen nach oben schiebt. Ich bin wenigstens seit 2018 immer noch damit beschäftigt, zu ergründen, was die Frage "Imperium oder Hegemonie?" konkret mit sich bringt. Dabei nutze ich das sehr anregende Werk von Ulrich Menzel.

Es ging mir damals um Zusammenhänge im Kontext „Keine Industrielle Revolution ohne Agrarrevolution." (Quelle: Dorf 4.0) Ulrich Menzels “Imperium oder Hegemonie?” ist übrigens online verfügbar: Link

Genau! Es ist kompliziert. Augenblicklich bewegt mich also diese russische Conquista. Aggressor ist eine Nation, für deren Gesellschaft generell gelten mag: Wer Gewalt anwendet, profitiert. Das liefert uns freilich keinerlei Gründe sich erhaben zu fühlen. In den Social Media wird derzeit ein Text von Antje Vollmer herumgereicht. (Die evangelische Theologin war unter anderem Vizepräsidentin des Bundestages Deutschlands.)

Antje Vollmer (Foto: Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0)

Vollmer ist Erstunterzeichnerin das Friedensmanifestes von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, dem ich mich nicht anschließen kann. Im erwähnten Text, der am 23.2.23 in der „Berliner Zeitung“ publiziert wurde, konstatiert sie zum Beispiel: „In unseren Medien verkörpert die Ukraine das Ideal und Vorbild einer freiheitsliebenden westlichen Demokratie heroischen Zuschnitts.“

Eine Behauptung, die ich nicht nachvollziehen kann. Wer unter jenen, die bei Trost sind, würde die Ukraine so charakterisieren? Vollmers: „Es ist ein fataler Irrtum, zu meinen, durch den Widerstand gegen die anderen imperialen Mächte gewinne der eigene Nationalismus so etwas wie eine historische Unschuld.“ (Ich habe da einen leichten Polemik-Verdacht.)

Aber dann finde ich Passagen, die vorzüglich zusammenfassen, was mich auch beschäftigt. Ich meine, in genau diesen Zusammenhängen haben wir zu klären, für welche Art Europa wir sorgen möchten, um unseren Blick auf Rußland und auf die Ukraine aktuell zu justieren.

Vollmer: „Ach Europa! Jedes Mal, wenn wieder eine der großen Krisen und Kriege des Kontinents überstanden war – nach dem 30-jährigen Krieg, nach dem Feldzug Napoleons gegen Russland, nach zwei Weltkriegen, nach dem Kalten Krieg –, konnte man hoffen, der machtpolitische Irrweg sei nun durch bittere Erfahrung widerlegt und gebe einem überlebenstüchtigeren Weltverständnis endlich Raum. Und jedes Mal fielen wie durch einen Fluch die Völker Europas wieder der Versuchung anheim, den Weg der Dominanz und der Konfrontation zu gehen.“

Zweitens speziell diese Passage: „Wie konnten wir nur annehmen, dass das große China und die Hochkulturen Asiens die Zeit der willkürlichen Freihandels- und Opiumkriege je vergessen würden? Wie sollte der leidgeprüfte afrikanische Kontinent die zwölf Millionen Sklaven und die Ausbeutung all seiner Bodenschätze je verzeihen? Warum sollten die alten Kulturen Lateinamerikas den spanischen und portugiesische Konquistadoren ihre Willkürherrschaft vergeben? Warum sollten die indigenen Völker weltweit das Unrecht illegaler Siedlungen und Landraubs einfach beiseiteschieben in ihrem historischen Gedächtnis?“ Vollmers Text: [Quelle]

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