16. November 2022

Kruzitürken


In der alten agrarischen Welt war der Hunger eine stets lauernde Gefahr. Schlechtes Wetter und Mißernten, kriegerische Episoden und manchmal eine Aristokratie, die zu viel nahm, konnten der Bevölkerung schwer zusetzen. Das führte gelegentlich, wenn auch selten, sogar zu Revolten. In Gleisdorf erinnert das Kreuz am Rennfeld an die Konfrontation herrschaftlicher Kräfte mit einem Bauernheer im Jahr 1515: [Wegmarken]


Die heutige Oststeiermark war oft von Räubern und von Freischärlern heimgesucht worden, aber auch von regulären Truppen; vor allem von der Armee der Osmanen. Das gab im Bereich größerer Ansiedlungen den Anlaß für Wehrbauten, wofür Fürstenfeld ein markantes Beispiel ist, weil man da noch viel davon sehen kann.


Festungsanlagen verlangte einen enormen Aufwand, der ja wesentlich vor Ort und regional erwirtschaftet werden mußte. Der Fürstenfelder Festungsweg macht das heute anschaulich. Dazu kommt, daß in diesem Zusammenhang Wasser eine wesentliche Rolle spielt. Nicht bloß, um in Gräben Barrieren zu bilden. Konnte man das Aufmarschgebiet eines Agressors aufgrund der Naturgegebenheiten voraussehen und ließ sich dieses Terrain durch Wasserzuleitung mindestens sumpfig machen, hatte man einen erheblichen strategischen Vorteil.


Ließ sich ein Gebiet fluten, bedeutete das einst: schon eine Wassertiefe von 60 bis 80 Zentimeter stoppte eine Armee und verlangte den Einsatz von Booten. Das sind Zusammenhänge, die uns heute nicht mehr behelligen. Aber die regionale Architektur ist von derlei Kräftespielen ebenso geprägt wie die Mentalitätsgeschichte der Menschen. Wie wir heute mit Situationen umgehen, wurzelt teilweise in sehr alten Erfahrungen und vielfach sind uns derlei Zusammenhänge nicht bewußt.

Das zu entschlüsseln und zu beschreiben, greifbar zu machen, gehört zu den Agenda der Wissens- und Kulturarbeit. Es gibt uns ja nicht bloß als Individuen mit persönlichen Interessen und Anliegen, wir ergeben auch Kollektive. Da bleibt stets eine brisante Frage: wodurch, mit welchen Mitteln und Zeichensystemen, stellen wir dieses „Wir“ her und stellen es dar?


Ich hab gestern in „So ein Montag“ erzählt, wie ich mit Weggefährten erneut durch die Hallen der vormaligen Textilfabrik Borckenstein in Neudau gezogen bin, wie wir danach dem Werksbach folgten, der einst ein Mühlang war, der von der Lafnitz herkommt. Flußauen und stets sich ändernde Verläufe eines Flußbettes sind ein große Thema.

Aber Fürstenfeld! Künstler Günther Pedrotti realisiert dort seit Jahren die „Wasserbiennale“. Was erfahre ich gerade heute? Sein Thema für 2023/24 lautet: „Wasser als Verteidigung“ (Spuren eines Kuruzzen-Schanzgrabens). Apropos! Von wegen Mentalitätsgeschichte und verflossene Jahrhunderte. Ich werde auch solche Aspekte noch aufgreifen, was sich nämlich erzählt, wenn jemand heute emotional „Kruzitürken“ oder „Alter Schwede!“ ausruft; was das mit Kuruzzen, Türken und Schweden zu tun hat.

+) Das Strömen (Einige Anmerkungen über Flüsse I)


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