22. Juni 2022
Der Dougong
[Vorlauf] Es ist hier gerade
still, was Rußland und die Ukraine angeht. Ein gängiger
Effekt. Die Faustregel besagt: Je öfter eine Information
wiederholt wird, desto geringer ist ihr Informationswert.
Dazu paßt, was Künstlerin Monika Lafer letzten Sonntag in
einem unserer Gespräche rausgehauen hat: „Das Hirn ist ein
Minimalist.“ Es tut so wenig wie gerade notwendig. Ein
interessanter Aspekt, der vermutlich mit Energiebilanz zu
tun hat.
Es gibt meines Wissens keinen anderen Teil des menschlichen
Körpers, der im laufenden Betrieb so viel Energie verbraucht
und folglich Wärme erzeugt, die abgeführt werden muß. Der
Kopf. Unser Gehirn: ein Heizstrahler? Gewissermaßen...
Also: Putin und Beuys. Die haben mich während der
letzten Wochen sehr beschäftigt. Beide keine Freunde von
Parlamenten. Beuys aber weit volkstümlicher. (Naja, so kann
man das auch wieder nicht sagen. Oder doch?) Dann aber die
Kontraste.
Ich bin gerade sehr von einer chinesischen
Erfindung gefesselt, die mehr als zweitausend Jahre alt ist.
Der Dougong. Ein komplexes Strukturelement aus
hölzernen Klammern („Brackets“), das ganz verschiedene
Kräfte aufnehmen kann. Ein sogenannter Kragträger.
Das meint ein Bauelement, welches mit Schub, Biegung und
auch Torsion fertig wird, letztlich allen sechs
Freiheitsgraden gewachsen ist. (Freiheitsgrade sind
Bewegungsmöglichkeiten im Raum.) Nein, man muß das nicht
wissen. Ich aber muß.
Im „Yingzao Fashi“, einem
klassischen Architekturhandbuch Chinas, finden sich solche
Sachen. Siehe dazu auch: „The Dougong: A nailless
Chinese construction method“ [Quelle]
Ich war eigentlich gerade mit Gin Tonic
beschäftigt und hab über Chinin nachgedacht. Ein Alkaloid, das in
der Rinde der Chinarindenbäumen vorkommt. (Die haben
sensationelle Blüten!) So war ich plötzlich beim Nanmu (Machilus
nanmu). Eine atemberaubende Baumart, die über tausend Jahre
alt werden kann.
(Foto: Gisling, GNU FDL)
Nanmu waren für die klassische
chinesische Architektur sehr wichtig, wenn es etwa um
Prachtbauten ging. Aus Nanmu ließen sich mächtige Säulen
fertigen, den sie können bis zu 40 Meter hoch werden. Da ist
es dann zum Dougong nicht weit, denn mächtige Säulen gehen
gut mit einem enormen Dach zusammen, das zum Beispiel
solcher Kragträger bedarf.
Nein, diese Dinge
sind in meiner Arbeit noch nie vorgekommen. Es sieht auch
nicht danach aus, als ob einschlägige Themen über den
Horizont heraufdämmern würden. Aber ich muß einfach von der
Welt so viel erfahren, wie es nur möglich ist. Sonst weiß
ich nicht, in welchem Zusammenhang meine Arbeit stattfindet.
(Jeder Beruf hat eben seine bevorzugten Abgründe und
Quellen.)
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Postskriptum Das oberste Foto zeigt
Monika Lafer mit dem Katalog "Joseph Beuys. Denken.
Handeln. Vermitteln." (2021), die aufgeschlagene Seite zeigt
u.a. "Blau auf Mitte" (1984). |
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