15. April 2022

Whataboutismus

Ein Bekannter aus alten Tagen belehrt mich. Er schmiß zu meiner vorigen Glosse „Dilemmata“ einen Kommentar, der auf keinen einzigen Punkt dieser Glosse eingeht. Der Mann macht ein ganz anderes Faß auf. Das bedeutet, er pißt auf meine Arbeit, benutzt sie als Trittbrett, auf das er sich schwingt, um seine Sache zu promoten.

Ich hab freilich nicht nur diese Chuzpe harsch zurückgewiesen, sondern auch seinen inhaltlichen Ausritt, den ich vor allem einmal als Kolportage werte. Der Mann schrieb: „Hab mich eh schon lange Jahre gefragt warum die Bewohner des Donbas immer noch den täglichen Terror des ukrainischen Militärs und der diversen faschistisch grundierten Paramilitärs ertragen müssen.“


Lange Jahre? Das glaub ich ja sofort! Eine Quelle nennt Wolfgang E. nicht, hat diese Behauptung aber auf den Schluß meiner Glosse draufgesetzt, wo ich einen definitiv proto-faschistischen Artikel des Russen Timofey Sergeytsev aus der Nachrichtenagentur RIA Novosti zitiere.

Nun mag es ja sein, daß die Ukraine ein Problem mit Neofaschisten hat, von denen Menschen schikaniert werden. Sowas erfahre ich gerne aus bewährten Quellen, aus einem internationalen Diskurs. Aber das war nicht Thema meiner Glosse. Ich muß darauf bestehen, aus dem großen Pool akuter Problemlagen immer nur einzelne Probleme aufzugreifen, zu kommentieren, ohne sie beliebig mit andere Themen zu mischen.

Daher werde ich auch solchen Whataboutismus jederzeit ebenso harsch zurückweisen. Wolfgang E. weiter: „Warum Russland nicht längst bereit war diesen Menschen zu helfen und den Terror der ukrainischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung zu beenden.“


Ja wie? Einmarschieren? Ein sehr problematisches Statement. Würden wir jemandem empfehlen, in den USA dreinzuhauen, weil dort Schwarze schikaniert und mißhandelt werden? Würden wir eine militärische Kampagne in China empfehlen, um den Uiguren beizustehen?

Ich hab dem Mann erwidert, daß die Ukraine ein souveräner Staat sei und der Wunsch, Rußland möge dort intervenieren, sei ein Veto für politisches Faustrecht. Wolfgang E.: „Faustrecht ist kein Recht, wie könnte ich für so etwas sein?“ Ah ja. Und wir wäre das zu deuten? Dieses: „Warum Russland nicht längst bereit war…“

Gibt es nun eine bedrohte ethnische Minorität im Donbas? (Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung, das ist nichtg wenig!) Ich nehme an, Politikwissenschafterin Florence Gaub sei in dieser Frage etwas besser informiert als der Privatier Wolfgang E.? Ich will der stellvertretenden Direktorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien in Paris gerne abnehmen, daß viele Menschen im Donbass zwar Russisch sprechen, sich aber deshalb nicht als Rußland zugehörig sehen.


Gut, wir haben in Österreich seit über hundert Jahren große Probleme, Demos und Ethnos zu unterscheiden. Ich will Florence Gaub auch eher als dem launigen E. abnehmen, daß Putin nicht darum gebeten wurde, russisch sprechende Ukrainer „retten“.

Ich finde in verschiedenen Quellen rund zehn Ethnien genannt, die das Volk der Ukraine ausmachen. Über 70 Prozent Ukrainer, über 20 Prozent Russen und übrige Kulturen. Ich will gar nicht bezweifeln, daß es in der Ukraine neofaschistische Formationen gibt. Sogar wir in Österreich, immerhin die unmittelbaren Nachfahren der Originale, gönnen uns eine neofaschistische Partei; was ich gemäß den Kriterien von Umberto Eco konstatiere; siehe dazu: „Gleisdorf: Betrachtungen #10“.

In dieser Sache helfen uns Putin, sein Regime und ganz Rußland aber nirgends auf der Welt, auch nicht in der Ukraine. Da brauchen wir andere Konzepte. Dazu brauchen wir vorweg präzise Befunde statt derlei Kolportage a la Wolfgang E. und ähnlicher Auguren. Fangen wir mit solcher Arbeit doch in Österreich an! Quasi als Aufwärmrunde.

+) Asien und der Rest


[Kalender] [Reset]