5. Jänner 2022
Zweiwertigkeit II
[Vorlauf]
Ich hab über das gestern skizzierte Binäre in unseren
Denkweisen noch ein wenig gegrübelt, denn wann immer wir als
Gesellschaft unter Druck geraten, verdeutlicht sich unsere
Neigung, zwei Lager zu betonen: Wir und die Anderen.
Wer das heute noch stammesgeschichtlich oder gar biologisch
argumentiert, redet die Wirkmächtigkeit von Kultur klein,
die uns Möglichkeiten bietet, all das neu zu sortieren.
Gerät unsere Gesellschaft unter Druck, rückt sie
erfahrungsgemäß nach rechts. (Rechts und links geht als
politische Positionsbestimmung auf die Französische
Revolution zurück.)
Was noch tiefer in der Geschichte
zu finden bleibt, ist die Teilung des Imperium Romanum in
Ostrom und Westrom. Darauf beruht die Dichotomie von
Orthodoxie und römisch-katholischer Gemeinschaft. Wer denkt
noch an Zufall, wenn ich mit dem Eisernen Vorhang
aufgewachsen bin, der Europa weitgehend genau entlang dieser
alten Trennlinie geteilt hat?
Osteuropa und Westeuropa waren in unserer Wahrnehmung - bis
zum Fall der Berliner Mauer - die Reiche von Kommunismus und
Kapitalismus. (Ein Duett, das eben erst wieder wirksam zur
Debatte stand, als Graz eine kommunistische Bürgermeisterin
erhielt.) Jenes Match war hier vom Warschauer Pakt
(Ostblock) und da vom Nordatlantikpakt (Nato) dominiert.
Dieses Bild ist so praktisch, daß ich zum Beispiel heute
noch Menschen sagen höre, Jugoslawien sei ein
„Ostblockstaat“ gewesen, was nicht zutrifft. Zwischen
Rom/Byzanz und Osteuropa/Westeuropa haben meine Leute dann
noch das Konzept vom Herrenmenschen und Untermenschen
ausgelotet.
Dabei kam ein beispielloses Ausmaß an
verbrecherischer Energie zur Wirkung, so entsetzlich, daß
diese Ereignisse in meiner Umgebung bis heute verharmlost,
kleingeredet, auch geleugnet werden. Ich hab erst vor
wenigen Wochen bei einem der Gleisdorfer Protestmärsche
jemanden sagen gehört, Hitler habe ein gutes Konzept gehabt,
das von den „kleinen Hitlers“ ruiniert worden sei. (Ja klar,
es muß wer anderer schuld gewesen sein!)
Lassen Sie
mich nicht vergessen, später noch kurz auf die phönizische
Prinzessin Europa einzugehen, die sich der maßlose Zeus
gefügig gemacht hatte. Zeus entführte sie nach Kreta.
Eine möglich Deutung dieses Mythos besagt, mit Kreta und der
minoischen Kultur sei aus Asien etwas nach Europa gekommen,
was dann mit der mykenischen Kultur dazu führte, daß auf dem
Festland die erste uns bekannte Hochkultur entstand. Das ist
eine Entwicklung der Bronzezeit mit ihrem fundamentalen
Technologissprung, dem Metallguß, welcher die
Serienproduktion von Waffen ermöglichte.
Asia
ist in der griechischen Mythologie eine Tochter von Okeanos
und Tethys. Sie gilt als Mutter des Prometheus, den wir als
ersten Patron der Technik betrachten. Europa, eine
Tochter von Agenor und Telephassa, empfing von Zeus drei
Kinder. Eines davon bekam den Namen Minos…
Weshalb betone ich das? Die neolithischen Massaker leiteten
eine Tradition ein, welche in der Bronzezeit zu einem
konstituierenden Bestandteil von Imperien wurde. Eine
waffenstarrende Dichotomie: Wir und die Anderen.
Wie das bis in die Gegenwart zu dominanten Ideologien
führte, hab ich hier eben skizziert. Gegenüber diesen
Jahrtausenden machen dann Ideen wie jene, daß die Würde des
Menschen unteilbar sei, noch nicht einmal die Länge
eines Wimpernschlags aus.
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