21. Oktober 2021
Europa entschlüsseln IV
Nun lassen sie mich im Stich, die wackeren Marx-Exegeten
aus der bürgerlichen Mitte, mit denen ich in Telepräsenz ein
paar anregende Tage verbringen durfte. Marx und Engels, das
Kommunistisches Manifest, die Teufel und ihre Anleitung zu
Tyrannei und Massensterben? Es tut mir leid, meine Herren,
das gibt der Text nicht her.
Ich hab in der IIIer
Glosse zu diesen Themen den Vergleich mit einer Denkschrift
des Aristokraten Dr. Josef Neupauer angeboten, eine sehr
detailgenauer Anleitung zur Tyrannei aus dem Jahr 1884, ein
Papier aus dem ideologischen Fundament zur Kolonialisierung
des Balkans. Die Schrift war dem Kaiser gewidmet. Ein
inhaltlicher Beitrag zum Lostreten des Großen Krieges, von
den Millionen Toten muß ich wohl nicht reden.
Und? Was sagt uns das? Merkwürdige geistige Väter im
heraufdämmern christlichsozialer Politik? Ich hab schon in
der IIer Glosse zu diesem Thema eine kleine Zeitreise mit
Kunstwerken angeboten. Arbeiten, die deutlich machen,
wogegen Marx und Engels schrieben, worauf sie reagiert
haben. Das heißt nicht, ich stünde hier für Marx und Engels.
Das heißt bloß, ich betrachte die historischen
Zusammenhänge.
Zum Hintergrund dieser Zusammenhänge:
Wir haben uns als Gesellschaften in den letzten zirka 200
Jahren extrem rasant entwickelt. Im April von 1815
verursachte der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora
eine weltweite Klimakatastrophe mit Mißernten und
Hungersnöten, denen unter anderem ein enormes Pferdesterben
folgte. Weshalb? Pferde stehen – anders als Rinder –
indirekter Nahrungskonkurrenz zu Menschen.
Die
Wirtschaft verlor nicht nur generell Arbeitskräfte und
Strukturen, sondern auch speziell wichtige Zugkraft. In den
Jahren 1815 und 1816 besuchte Erzherzig Johann von
Österreich die damals führende Industrienation der Welt,
Großbritannien. James Watt persönlich zeigte und erläuterte
dem Prinzen seine Innovationen, die optimierten
Dampfmaschinen.
Johanns Reiseberichte illustrieren
die Erste Industrielle Revolution, welche knapp vor dem
Großen Krieg in ihre zweite Phase gelangte und eine
Mechanisierung der Welt vorantrieb. Zur Erinnerung: meine
Argumente zur Sache quittierte Erwin P. in etwas
besinnungslosem Zustand mit: „Wer den Kommunismus
verteidigt und solchen Unsinn schreibt, sollte auf der
Stelle nach Nordkorea gehen !!!!! Von Geschichte hast du
keine Ahnung !!!!“
Ich hab übrigens beschlossen zu bleiben. Schwank am Rande:
die Morgennachrichten erzählten heute von einem Dissens
zwischen Georg Knill, dem Präsident der
Industriellenvereinigung, und der Metaller-Gewerkschaft. Es
ist derzeit von Warnstreiks die Rede. Ich fragte umgehend
bei meinem Sohn nach, er ist Schichtleiter in einer Fabrik,
ob es nun Brösel gebe. Er meinte: „War das bei uns? Hatten
wir vor gut zwei Jahren mal, diese Situation.“
Werden
mir die Marx-Exegeten der bürgerlichen Mitte nun erzählen,
sie seien eigentlich die besseren Vertreter der
Arbeiterschaft? Na, mir brauchen sie es nicht zu verkaufen.
Sie müssen das mit den Hacklern in den Fabriken ausmachen.
Klar hätte es auch ohne Marx Arbeiterbewegungen gegeben.
Und Frauenbewegungen. Und sonst noch was. Darum sag ich ja,
dieser historische Kommunismus sei ein Teil des 19. und 20.
Jahrhunderts. Heute würde mich eher interessieren, wie wir –
gesamt Europa – uns etwa mit China einigen, wohin die Reise
in wechselseitigen Abhängigkeiten gehen solle. [Fortsetzung]
+)
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