2. Oktober 2021

Bolschewiki?

Ich hab gestern den Publizisten Norbert Mappes-Niediek zitiert, der meinte, die steirische KPÖ würde intern „stalinistische, nationalbolschewistischen Positionen“ vertreten. Wäre eine vordringliche Frage: Welche? Und schließlich: Darf man das?

Bolschewiki waren eine radikale politische Formation, die sich auf Ansichten von Lenin stützte. Stalin sah sich in dieser Tradition. Ich hab zu diesen Dingen nur ein bescheidenes Wissen. Aber klar ist: Konzepte und Realpolitik sind zweierlei, was politisch gedacht wird und was durchgesetzt werden kann, ist nie ident.

Radikale politische Ideen werden uns laufend aus den Lagern etablierter Parteien angedient. Das regt mich nicht auf. Das halte ich in einer Demokratie für den Normalzustand. Und Stalin? Seine Auffassung von Marxismus-Leninismus war nur eine von etlichen Varianten, den Sozialismus zu begründen und im Kommunismus zu realisieren. Da muß man genauer werden, wenn man sich in Debatten exponieren möchte.

Zur Erinnerung: heute reden mir noch manche Leute von Jugoslawien als „Ostblockstaat“, obwohl es nie zum Warschauer Pakt gehört hat und Titos Vorstellung von Sozialismus sich mit den Konzepten Stalins nicht vereinbaren ließ. Wer mir also heute mit Begriffen wie Stalinismus oder Bolschewismus kommt, muß mir erst einmal erläutern, was da konkret gemeint wird.

Ist es überhaupt denkbar, daß sich eine steirische KPÖ in einer Fraktion innerhalb ihrer Reihen mit Klassenkampf, Enteignung, Kollektivierung, Fünfjahres-Plan und derlei Kuriositäten befaßt und das in Österreich für erstrebenswert hielte?

Na klar ist das vorstellbar. Aber das kratzt mich nicht, weil ich es für eine schrullige Ambition hielte. Es schiene mir kaum radikaler oder besorgniserregender, als wenn ich steirische FPÖ-Leute über Heimat, Kulturpolitik und Identität reden höre, was nicht einmal verborgen wird, sondern mir per Publikationen ins Haus flattert.

Es mag schon sein, daß sich einzelne steirische KPÖ-Leute einen Bauern- und Arbeiterstaat erträumen, eine Räterepublik. Schmeißen Sie das Wort Räterepublik in den Google Übersetzer. Sovetskaya Respublika. Soviet Republic. République soviétique. Wäre es das nun?

Österreich als kommunistischer Nationalstaat, als Räterepublik, in der das Proletariat herrscht, die Fabriken dem Staat/Volk gehören, die landwirtschaftlichen Betriebe kollektiviert wurden, nachdem wir einen neuen Klassenkampf absolviert haben, nach dem Privateigentum wieder abgeschafft und die Besitzverhältnisse völlig neu geordnet wurden? Lustig!

Soll ich annehmen, daß eine steirische KPÖ-Fraktion existiert, die daran arbeitet? Sollen sie! Das ist für mich okay. Das darf man sich in einer Demokratie denken, man darf es mit anderen bereden, ohne nach Sibirien verfrachtet zu werden, man darf es sich also wünschen. Ob man es kriegen wird, liegt dann ja auch an uns übrigen Leuten.

Ich würde darauf antworten: „Viel Glück und gute Reise!“ Mit meiner Vorstellung von Demokratie und republikanischer Praxis würde ich diese Debatte und diesen Wettbewerb nicht scheuen. Aber ich möchte dann zu meinem Schicksal beten, daß sich etwa unsere steirische ÖVP und SPÖ bei so einem Wettbewerb der guten Ideen nicht im Lager eher rückständiger, autoritärer und/oder ratloser Funktionstragender fänden. Zur Zeit sehe ich exponierte Leute jener Parteien nicht als die hellsten Kerzen auf der Torte.

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