10. Mai 2021
Mutter II
Meine gestrige
Muttertags-Glosse hat mir auf der Bühne und hinter der
Bühne einige interessante Reaktionen eingebracht. Das Thema
Muttertag interessiert mich reichlich wenig. Es war die Flut
an Facebook-Postings, so viel Schönfärberei, auf das ich
reagiert hab.
Dazu kommt das geheuchelte Interesse
von Betrieben und von politischen Kräften, die so einen
Termin abwedeln, sich selbst empfehlen, in dem sie Phrasen
und bunte Bildchen raushauen. Klischee-Stoff. Krempel. Ich
verstehe ja, daß dahingestümpertes Sentiment oft der letzte
Rest an sozialem Kitt ist, den man noch irgendwo
zusammenkratzt.
So wird das Sentiment zum Sediment, zum Gefühlsdreck, der
sich auf allem ablagert. Mir ist nicht ganz klar, weshalb
man seine intimen Gefühle via Facebook aufblättern muß.
Posen. Vieleicht aber ein legitimes Ringen um Zuwendung.
Und die Sache mit meiner Mutter?
Wer genau
hinsieht, wird feststellen, daß es keine Abrechnung ist.
(Für persönliche Abrechnungen brauche ich die Welt nicht als
Publikum.) Aber betrachten Sie es einmal so: mich
beeindruckt das Gratulationsgetöse mit den vielen Posen und
schlechten Graphiken nicht. Mich scheren keine
diesbezüglichen Konventionen und Dekorationen.
Ich
bestehe stattdessen auf der Möglichkeit, meine Mutter als
die zu sehen, die sie war. Das bedeutet übrigens auch: sie
darf in meiner Erinnerung die sein, die sie war, wird nicht
verzerrt.
Ein Kind ihrer Zeit, in den Faschismus auf
eine Art verwickelt, wie etliche meiner Leute, da man nicht
mehr von Mitläufertum, sondern von Täterschaft sprechen muß.
So kam sie in der Zweiten Republik an.
In diesem Sinn
verstört, um Erlösung bemüht, gewalttätig und beschämt,
zwischen verschiedenen Konzepten und Strategien
irrlichternd, hat Annemarie Krusche, geborene Strohmayer,
gute Gründe gefunden, alles an ihrem Leben umzudeuten.
Mir ist daran nichts ein Rätsel. Vom Frauenleben jener
Ära habe ich eine klare Vorstellung. Ich kann mir Annemarie
Krusche, geborene Strohmayer, sehr gut erklären. Aber ich
bin ihr Sohn, nicht ihr Mann, nicht ihr Therapeut. Ich muß
ihre Verstrickungen also nicht auflösen. In meiner
Erinnerung darf sie – wie erwähnt - die sein, die sie war.
Ich werde die Tote nicht umdeuten, nicht zum
spießbügerlichen Mythos verklären, nicht beschönigen. Ich
bin kein Richter. Dies ist kein Tribunal. Ich bin hier bloß
Chronist, der in seiner Geldbörse ein Zettelchen hat, darauf
steht: „Sag, was der Fall ist oder halt die Fresse!“
+)
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