30. April 2021

#allesdichtmachen IV
Normalität ist kein bestimmter Zustand, sondern eine Relation

Ich sehe in meinem vertrauten Milieu liebenswürdige Menschen, die auf Facebook kaum etwas anderes tun, als Schreckensnachrichten zu kolportieren. Ein merkwürdiger Voyeurismus. Manche Leute sind so originell, daß sie die Stimmen von Experten nutzen, um sich gegen Expertentum zu äußern.

Manchmal verheddere ich mich in eine kleine Kontroverse. Da appelliere ich, es mögen Sachargumente auf den Tisch kommen, doch mein Gegenüber bleibt beharrlich auf irgendeiner Metaebene und erstellt allgemeine Befunde, die nicht begründet und belegt werden. Ich halte das für eine Basisübung der neuen Bourgeoisie.


Ich kann mir ausmalen, was jemanden dazu bewegt, aber es bleibt Boulevard-Praxis, wenn jemand ein Massenmedium (Facebook) benutzt, um in den öffentlichen Diskurs einzusteigen, und dabei ohne Begründungen dahinholzt, daß die Scheite fliegen. Ich muß dem ja nicht zustimmen.

Ich fordere vorzugsweise Genauigkeit. Wenn jemand etwas kritisiert, möchte ich wissen, wie die Stelle lautet, die da kritisiert wird. Das Motto: Nennen Sie Ihre Gründe! Manchmal bleibe ich länger dran, manchmal breche ich bald ab, wenn jemand vom allgemeinen Gezänk nicht zu konkreten Aussagen runterkommen will, zu begründeten Vorhaltungen. Dabei regiert derzeit in vielen Winkeln die Larmoyanz. Zwei O-Ton-Beispiele aus den letzten Tagen.

Petra M. schrieb mir auf mein Forderung nach Präzisierung ihrer Kritik an meiner Kritik der Aktion #allesdichtmachen: „genau das ist es was ich meine.. man hat zu was eine Meinung und wird sofort in ein Eck gedrängt (Rechts, schlechter Geschmack etc). Nur weil was nicht hochtrabend intellektuell aufgearbeitet daherkommt, sondern vielleicht aus einer Emotion entstanden ist , ist es noch lange nicht schlecht..“

Freilich habe ich sie in kein Eck gedrängt. Wozu auch? (Die Sache mit dem „rechten Ecke“ macht offenbar Karriere als konditionierter Reflex.) In diese Stimmung paßt auch folgendes Erwin P.-Zitat: „Apropos akademische Meriten: Mit den folgenden Zeilen will ich nicht angeben, es soll nur eine Antwort auf deinem überheblichen und arroganten Stil sein.“

Das ist der Trick! Ich ersuche um Argumente zur Sache, er beharrt auf Argumenten zur Person. Ich möchte, daß er seine Kritik präzisiert, eventuell mit einem Zitat belegt. Er macht weiter im Anfechten meines Verhaltens.

Erwin P. nahm dann einen interessanten Ausweg: „Aufgrund deiner manchmal teilweise überflüssigen Argumente habe ich das Gefühl habe, dass Du mit mir ein Spielchen treiben möchtest, darum werde ich auch nicht auf alle eingehen – es ist mir auch zu mühsam. Dazu musst Du dir irgendeinen Hinterwäldler oder Normopathen suchen.“

Manchmal flammt dabei plötzlich ein erstaunliches Portiönchen Menschenverachtung auf. „Normopathen“ tut ja so, als wäre „Normalität“ eine klar definierte Kategorie für sich und keine Relation, überdies etwas Krankhaftes = Pathologisches. Sprache ist eben sehr verräterisch.

-- [#allesdichtmachen] [Bourgeoisie] --

P.S.:
Unnötig zu betonen, daß beide sich über die volle Länge unserer Debatte geweigert haben, ihre recht allgemein gehaltenen Kritik zu belegen. Darum auch weiter mein Beharren auf diesen zwei Fragen:
+) Was macht einen Unterschied zwischen Kritik und Denunziation?
+) Was unterscheidet den Boulevard-Stil von intellektueller Selbstachtung?


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