27. April 2021

#allesdichtmachen

Ach! Dissens! Wo wären wir ohne Dissens? Wenn ich mein Gegenüber nicht mehr brauche, um mir durch unerschütterliche Zustimmung meine singuläre Exzellenz zu betätigen, womöglich vor aller Welt, dann kann Dissens anfangen, uns nützlich zu werden.

Ein schönes Kontrastmittel. Oder ein vitaler Ausdruck des anderen Geistes. Ich denke oft an meinen Sohn oder sehe ihn manchmal staunend an. Wie der ist. Nicht wie ich. Ein Anderer. Was für ein Geschenk!


Dabei möchte ich hier grade über kulturelle Belange schreiben. Ah, ja, das tue ich auch. Auf ein paar Umwegen. Anlaß ist mir derzeit das Projekt #allesdichtmachen. Aber die Gründe dafür gehen tiefer. Ich sehe mein Metier etwas zerrüttet. Das hat nicht erst die Pandemie gemacht. Die hat es bloß akzentuiert.

Also brüllt etwas in mir: „Was ist der Fall?“ Da draußen ist nämlich so viel Ömpörung und Gezänk, daß ich mich manchmal selbst nicht mehr denken hören kann. Aber mich beeindruckt das alles wenig. Wann waren mir Dinge noch klar? Da gibt es Kontinuitäten.

Auf meinem Weg in die Vaterschaft war ich völlig taub für eine Flut pädagogischer Ratschläge, die von bemühten Menschen in meine Richtung ausgelöst wurde. Ich hab mir auch keinen einzigen pädagogischen Ratgeber aus der Buchhandlung geholt.

Ich erinnere mich noch, daß ich die Hebamme gefragt hab, wie ich das Zwerglein halten soll, daß es mir beim Waschen in der Salatschüssel nicht auskommt und untergeht. Okay, sooo klein war er auch wieder nicht. Aber gemessen an mir ein recht zartes Portiönchen Mensch.

Die Hebamme zeigte mir, wie ich das Neugeborene auf die Innenseite meines Handgelenks legen soll, seinen Oberarm mit meinem Daumen und Zeigefinger sanft umschließen, und schon war der Kleine in Sicherheit, während ich ihn ins Waschwasser senkte. Ich denke, später hab ich bezüglich Kind nie mehr was gefragt.

Was die kommenden Jahre angeht: meine Pädagogik bestand aus bloß drei Sätzen. Die haben sich bewährt. (Müßte mir eigentlich eine Wikipedia-Eintrag bringen: Krusches Dreisatz-Pädagogik.)
1) Nicht schlagen!
2) Nicht demütigen!
3) Nicht blöd im Weg stehen.

Man muß kein Genie sein, um das in menschlicher Gemeinschaft generell für nützlich zu halten. Und vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, Krusches Dreisatz-Pädagogik regelt nicht das Verhalten des Kindes, sondern meines. Ich will das gar nicht argumentieren, weil mir ziemlich egal ist, was in anderen Programmen steht.

Ah ja, und das könnte man als Appendix nachreichen. Drei weitere Paragraphen:
4) Klare Kommunikation.
5) Keine verdeckten Intentionen.
6) Keine Maßnahmen, wegen derer mein Gegenüber stets auf der Hut sein muß.

Wenn ich es recht bedenke, das könnte eine Art Grundgesetz in der Krusche-Demokratie sein. Sechs lumpige Paragraphen. Und Punkt! Der Schwank dabei: das geht nicht bloß mit Kindern, das würden viele Erwachsene womöglich auch vorziehen. Zugleich taugen diese paar Paragraphen als kulturpolitisches Credo. Ein sehr taugliches Grundsatzpapier. Ich möchte annehmen: wer nicht kapiert, was damit gemeint ist, muß ein Agent der Blödheit sein.

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