21. Februar 2021

Die unruhige Meute

Ich habe in meinem Nachdenken über große Fluchtbewegungen notiert: „Seit mehr als tausenden Jahren sind überzählige Söhne, die nichts werden können, ein sprunghaft wachsendes Problem der jeweiligen Innenpolitik.“ [Eintrag vom 19. Februar 2021]

Historisch betrachtet wird das wehrfähige Alter von Buben mit 15 Jahren angesetzt. Ab da taugen sie für Kriege. Zwischen 15 und 20 weiß ein junger Kerl, woran er ist und was dort möglich wird, wo er aufgewachsen ist. Jedes Regime muß diesen Teil der Gesellschaft durch ethische Konzepte in Bahnen lenken und gut beschäftigen.


Gelingt das nicht, ist mit einer Radikalisierung der Jungen zu rechnen, deren aufkommendes Gewaltpotential entweder nach außen gerichtet werden kann oder nach innen losbricht. Silvia Popp erwähnte in „Jugendüberhang und Konfliktrisiko“ (Ein Überblick über die Ergebnisse der empirischen Forschung seit 1990) zum Beispiel:

„So vertrat Gunnar Heinsohn, ehemaliger Leiter des Raphael-Lemkin-Instituts für vergleichende Völkermordforschung in Bremen, die These, dass nach Macht und Anerkennung strebende, aber ökonomisch perspektivlose junge Männer eine Bedrohung für den Frieden darstellen.“ (2012)

Europa pflegte – wie schon erwähnt - über Jahrhunderte zwei Varianten: die überzähligen Söhne in einem Krieg verbrennen oder sie in die Welt schicken, auf daß sie andere Ländereien plündern, austöten, kolonisieren. Dies wie das ist heute für uns keine Option mehr. Wie antwortet die EU auf offene Fragen konzeptionell und politisch, wie Österreich?


An den letzten Old School-Versionen des Verbrennens überzähliger junger Männer waren meine Großeltern und meine Eltern beteiligt. Die dabei erworbenen Traumata sind in ihren Wirkungen ein Stück meine Biographie. Allein deshalb interessiert mich das Thema.

Was denken Sie denn, war der Grund für den Ersten Weltkrieg? Gavro Princip? Die Schüsse von Sarajevo? Lächerlich! Das kleine Serbien war keine reale Bedrohung für das habsburgische Imperium. Dieser Vorfall nahe der Lateiner-Brücke lieferte bloß Vorwände.

Nachdem die Osmanen 1912/1913 von Balkan vertrieben und die südslawischen Leute von diesen Balkankriegen ausgeblutet waren, wollte Österreich die Region kolonialisieren. Die Habsburger zielten zuerst auf die Provinzen Bosnien und Herzegowina, nahmen sich vor, Serbien niederzuwerfen, weil ihnen klar war: mit denen gibt es nur Probleme.

Schon 1884 beschrieb ein zynischer Aristokrat, der in Graz geborene Josef von Neupauer, wie er sich vorstellte, eine ganze Region zu kassieren und zu bewirtschaften: „Viribus unitis. Wie könnte die europäische Cultur nach Bosnien verpflanzt werden?“

Ich hab daraus am 11. Februar 2014 im Logbuch zitiert. Außerdem 2019 in: „Gerechtigkeit für Jugoslawien!“ (Oder: Da nippt einer an seinem Glas und brüllt „J‘acuzzi!“)

Franz Josef I, als Monarch ein sagenhafter Stümper, unterschätzte damals die Interessen anderer Staaten. Es entglitt ihm die Kontrolle über diesen regional angelegten Krieg völlig. So wurde aus dem ehrgeizigen Vorhaben der Große Krieg (dem bald der Zweite Weltkrieg folgte). Dabei ging das Haus Habsburg unter. Europa hatte wieder ein paar Millionen junger Männer verbrannt.

+) Josef von Neupauer
   - Quelle #1: Projekt Gutenberg
   - Quelle #2: Manybooks


-- [Kara Tepe] --
[Kalender] [Reset]