20. Jänner 2021

Käse und Karbon

Was man über einem Topf Käsefondue alles erfahren kann, denn unsere Welt ist voller Dinge, von denen ich noch nie gehört hab. Ich wußte zum Beispiel bisher nicht, daß Karbonfaser eine spezielle, etwas kuriose Leitfähigkeit hat.

Wo elektrischer Strom beim Durchfließen auf höheren Widerstand stößt, entsteht mehr Wärme, als dort, wo er leicht vorankommt. Höhere Leitfähigkeit bedingt kühleres Umfeld. Supraleiter müssen sehr tief gekühlt werden, um den Widerstand in die Richtung nahe Null runterzubringen. Solche Dinge hab ich im Kopf. (Ich mag allein schon das Wort Supraleiter.)

Bei Karbonfaser ist es offenbar umgekehrt, die leitet besser, wenn sie heiß wird. Das ist nun sicher eine vereinfachte Darstellung dessen, was ich über jenen Tischherd erfuhr, den Josef Mayer selbst gebaut hatte; primär, um für Fisch eine gleichmäßige Hitze über die ganze Länge des Fischleibes zu erhalten. (Thema: Zähmung des Feuers und Kontrolle der Hitze.)

Doch eigentlich waren wir zusammengekommen, um über das flugfähige Modell des Estaric zu reden. Österreichs erstes lenkbares Luftschiff, von den „Renner-Buben“ 1909 der Öffentlichkeit vorgeführt. Jenes Jahr, in dem Louis Blériot mit seinem Flugapparat XI als erster Mensch den Ärmelkanal überflog.

Ich führe spezielle Notizen, seit wir dieses Thema ausführlicher behandeln, denn man könnte von einer Neunzenhundertneunerei sprechen. Dieses Jahr und sein Umfeld zeigte eine enorme Dichte technischer, künstlerischer und kultureller Ereignisse.

Josef Mayer ist Mechatroniker. Das bedeutet, niemand weiß so genau, was er macht. Der Begriff ist ein Zugeständnis an Umbrüche in Handwerk und Technologie. So wurden vom Amts wegen mehrere Berufsbilder zusammengefaßt, wobei auch manche Aspekte des Paketes verlorengingen.

Ausdruck eines nächsten Hauptereignisses in den rund 200 Jahren permanenter technischer Revolution, die unser heutiges Leben prägt. Unser Verhältnis zur Welt der Maschinen ändert sich völlig. Oder aber, Mayer: „Wenn auf einer Visitenkarte Mechatroniker steht, weiß ich auch nicht, was der jetzt so genau macht.“

Beispiel: Mayer liest einen Schaltplan wie ich die Seite eines Romanes. Das bedeutet, er beherrscht ein Zeichensystem, dank dessen man auf etwa einer Seite spezielle Sachverhalte notieren kann, für die man in unserer Alltagssprache eventuell einen dreißigseitigen Essay verfassen müßte, um die gleiche Information festzuhalten.


Das bedeutet außerdem, er hat in spezielles Abstraktionsvermögen verfeinert, dank dessen sich komplexe Vorgänge denken und begreifen lassen, die mir – trotz solider technischer Grundkenntnisse – ein geschwollenes Hirn verursachen würden.

Sie ahnen nun gewiß, weshalb ich so ein Faible für kollektive Wissens- und Kulturarbeit habe. Das gelegentliche Kombinieren derart unterschiedlicher Kompetenzen und Leidenschaften ermöglicht bewegende Effekte. Nur auf solchen Wegen kann ich meiner manchmal quälenden Neugier angemessenen Auslauf verschaffen.

Der Estaric. Künstler Igor Petkovic hat vergangenes Jahr mit seinem Team einen hinreißenden Flugtag in der Grazer „Gruabn“ (Sturmplatz) realisiert. Da waren wir auf diese Luftschifferei der Renner Buben konzentriert. Nun baut also Mayer an einer flugtauglichen Miniatur des Apparates, der im Original von einem Puch-Motor angetrieben war. Und wie ich schon von seinem Hindenburg-Modell weiß, wenn das Teil erst einmal in der Luft ist, kann man ohne weiteren Referenzpunkt nicht mehr sagen, wie groß oder klein das Luftschiff ist…

+) Das Estaric-Modell


-- [Der Estaric I] --
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