4. Oktober 2020

Nachdenken, was die markanten Punkte einer nächsten Kulturpolitik sein mögen… Ich muß einmal in der Geschichte kurz zurücksetzen. Ein Jahrtausend-Thema: Politik ist nicht, was Politikerinnen und Politiker tun, schon gar nicht in einer repräsentativen Demokratie.

Politik ist es erst, wenn Staatskunst und Gemeinwesen in Wechselwirkung kommen. So sieht das in der Kultur Europas aus. Das wird seit der griechischen Antike verhandelt und erprobt. Wenn uns demnach die letzten dreißig Jahre so merklich das „Bottom up-Prinzip“ angedient wurde, wenn „Bürgerbeteiligung“ auf Flugblättern stand, war das eigentlich Ausdruck von schlampigen Entwicklungen.


Es läuft alles inzwischen viel zu schnell. Da wäre eben noch mit anderen Leuten an spannenden Prozessen zu arbeiten, schon drängt ein gut geöltes Funktionärswesen auf medienwirksame Berichte und Fotos.

Das Bild vom Sand im Getriebe hat einige sehr anregende Aspekte. Der Begriff „Entschleunigung“ ist während der letzten zehn Jahre allerdings so gründlich niedergefahren worden, daß er keine Aussagekraft mehr hat. (Der „Nachhaltigkeit“ erging es ähnlich.)

Ich erlebe seit geraumer Zeit, daß ich laufend an spürbare physische und mentale Grenzen komme, die mir nahelegen, mein Selbstverständnis und meine Modi der Alltagsbewältigung zu ändern, denn sonst liefe das auf jene Dauererschöpfung hinaus, die ich zwischen 2015 und 2020 schon abschnittweise kennengelernt habe.

Haben wir einen breiteren gesellschaftlichen Konsens, daß Erschöpfung zunimmt und eine Verlangsamung des gesamten Ensembles klug wäre? (Haben wir eher nicht.) Mein Vorteil: ich lebe in einem Winkel der Welt, wo ich zwar gelegentlich unter Druck stehe, aber nicht andauernd gehetzt werde.


Gestern war ich mit Heimo „The Driver“ unterwegs, um kurz einen alten Meister zu besuchen. Franz Tantscher, Handwerker und Motorsportler, zeigt ein letztes Mal seine exquisite Sammlung von Geländemotorrädern der Marke Puch. Diese Sammlung wird danach aufgelöst.

Wie fühlt es sich an, wenn man individuell erlebt, daß eine Ära endet? Einst wurden Menschen kaum alt genug, um eine Zeitenwende zu erfahren; außer man fiel gerade in so einen großen Umbruch hinein: Völkerwanderung. Pestkrise. Dreißigjähriger Krieg…

Einzelne Leute konnten sehr alt werden, aber das war nicht die Regel. Alexander von Humboldt wurde 90. Die meisten seiner Mitmenschen kamen kaum über den 30. Geburtstag hinaus. Ich erinnere mich nicht mehr an die Quelle jenes merkwürdigen Bildes, als es gebrochen wurde: „Leben wie Gott in Frankreich“. Rund 800 Jahre lang erlebte keiner der französischen Könige, die einen natürlichen Tod starben, ihren 60. Geburtstag.

Die meisten von uns leben sehr lange und wir leben in einem rasanten Lauf der Dinge. Offenbar haben wir es nicht erreicht, daß unsere Kulturtechniken und unsere sozialen Strategien damit angemessen Schritt halten. Die Adaptionsphasen für neue Verhältnisse sind längst viel zu knapp. Das kann furchterregend sein. Ich finde es sehr interessant.

Was hieße das aber in kulturpolitischen Kategorien? Genau das gibt mir allerhand zu denken, während ich mich mit Sir Oliver Mally darüber austausche, welche Art Kontinuität wir derzeit in unseren Künstlerexistenzen verstärken, befestigen wollen. Was liegt in unseren eigenen Händen?

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