1. Oktober 2020
Crossposting &
Broadcasting
Letzte Mittwoch hab ich meinen
Twitter-Account abgedreht. Es leuchtet mir nicht
ein, permanent Pointen für mehrere Kanäle zu produzieren,
die sich möglichst nicht decken sollten wie seinerzeit im
Crossposting auf Newsgroups.
Dafür hatte man
sich damals auf jeden Fall entschuldigt und gute Gründe
genannt. Manche werden den Begriff gar nicht kennen.
Crossposting kommt vor, wenn ich den selben Inhalt über
mehrere Kanäle raushau, aber damit rechnen darf, daß sich
die Abonnements verschiedener Verteiler überschneiden, was
meint: da wie dort teilweise dieselben Leute.
Seinerzeit war einem Crossposting noch peinlich und
galt als Ausdruck schlechter Manieren. Mir scheint, heute ist
das völlig egal, Hauptsache man generiert Follower und Clicks.
Nein, ich beklage das nicht. Sollen alle tun, wie es ihnen
beliebt. Wir müssen unsere Mediensituationen individuell regeln,
gestalten.
Auslöser für meine aktuellen Überlegungen war
ein Streifzug durch die Arena der großen Spiele. Diverse Formate
der Art von „Big Brother“, „Germany‘s next Topmodel“,
„Promis unter Palmen“, „Queen of Drags“ etc. Die großen
Spiele um Brot und Insta-Follower.
Da dämmerte mir: die
haben das Broadcasting wieder durchgesetzt und damit eine
wesentliche Option der vormals Neuen Medien in die Tonne
getreten. Broadcasting hieß einst: „Ein Sender, viele
Empfänger“. Die Propagandamaschine.
In den 1930ern
war dieses Prinzip durch den „Volksempfänger“
manifestiert, einen erschwinglichen Radioapparat, der den
Spitznamen „Goebbles-Schnauze“ trug. Josef Goebbels,
Propagandaminister der Nazi, hatte so sein Maul in praktisch
jedem Haushalt.
In der Zweiten Republik reizte das
Rundfunkmonopol so manches Grüppchen zum Betreiben eines
Piratensenders. Das Gesetz fiel 1993. Bis Ende der 1990er waren
Onlinezugänge so erschwinglich und weit verbreitet, daß wir von
den „Neuen Medien“ sprachen, von einer
Medienkonvergenz, also dem EDV-gestützten Ineinandergehen
verschiedener Medientypen und… Wir sprachen vom Ende des
Broadcasting.
Nun also: „Viele Sender, viele Empfänger“. Eine
neue Netzkultur. Jeder Netizen
(Bewohner der Netze) auch selber Autor oder Autorin. Die
Demokratie gewinnt in dem Maße, wie wir die nötigen
Medienkompetenzen erwerben und kritische Diskurse
mittragen.
Ha! Lustig! So ist es genau… NICHT
gekommen. Nun fiel mir auf, daß in den oben genannten
Kampfspielen – von "Big Brother" bis "Promi
Big Brother" – ein Hauptgegenstand alle anderen
Profit-Sorten übertrifft. Nur eine Person holt den
Geldkoffer, aber alle auf dem Set haben die Chance, bei
den Spielen in der Arena einen Zuwachs an Insta-Followers
zu lukrieren.
Wer will und wer wird „fame“?
Das ist eine der Währungen dieser Formate: eine
wachsende Instagram-Gefolgschaft. Damit haben wir aber
wieder und vor allem: Broadcasting. Zwar bleibt
Interaktion und Dialogisches prinzipiell möglich, aber
niemand kommuniziert per Call and Response mit
fünftausend oder zehntausend Menschen.
Das
Prinzip „Viele Sender, viele Empfänger“ bleibt
so bestehen, praktisch ist der ganze Laden aber erneut
bei „Ein Sender, viele Empfänger“ angekommen,
ist wieder eine Propagandamaschine. Goebbles hat bloß
sein Antlitz gewechselt, verfügt über viele Masken.
P.S.: Nun sind 100 Jahre rund: „Am 1. Oktober
1920 wurde das Bundes-Verfassungsgesetz beschlossen.“
[Quelle]
-- [Wir
Ikarier] --
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