29. September 2020

Gestern noch der Regentag und eine Kälte, die sich selbst mit dem Pullover kaum abhalten ließ. Mein Schreibtisch steht an einem Mauerstück zwischen zwei Fenstern. Das Wetterpanorama ist also im Mietpreis inbegriffen. Heute wieder kräftiges Gegenlicht. Aber eigentlich ist seit Samstag völlig klar, daß ich im Herbst angelangt bin.

Für die samstägliche Session auf dem Grazer Sturmplatz hatte ich sicherheitshalber meine Winterjacke aus dem Schrank geholt. Zum Glück. Die Wetterlage hatte den Start eines Heißluftballons ausgeschlossen. Leider. Manchmal standen die vielen kleinen Helium-Ballons an ihren Leinen recht schräg.



Erheblicher Seitenwind in der Gruabn.

Sturmplatz, der Name hat nichts mit dem Wetter zu tun. Das meint den SK Sturm, einen Fußballklub, dem ich als Kind angehangen bin. Man mußte sich zu jener Zeit im Gemeindebau entscheiden. Sturm oder GAK. So wie im Jugoslawien der Tage nach dem Zweiten Weltkrieg: Stalin oder Tito.

Das fiel mir eben ein, weil ich so sehr in ein Stück Familiengeschichte versunken bin, Zusammenhänge, die bei der Sturm-Session angeklungen sind. Es ging um die Renner-Buben, was auch bedeutet, daß es implizit um die Strohmayer-Seite ging.

Bei meinem Großvater Karl hatte die unausgesprochene Frage wohl „Hitler oder Stalin“ geheißen, als er damals von Partisanen geholt wurde. Da war seine Wahl schon vorher auf die Faschisten gefallen, also ließen sie ihn verschwinden.



Fans des SK Strum hat es auch in Gleisdorf.

Seine zweite Frau, Julka, eine Kroatin, soll s schwer gehabt haben, aus dieser Situation davongekommen zu sein. Ich denke, sie wird mit den faschistischen Ustaschen assoziiert worden sein, was einen bei Partisanen rasch das Leben kosten konnte.

Ich hab bei Milovan Djilas gelesen, daß es ausgerechnet Stalin gewesen sei, der diese Racheaktionen abstellen ließ und gesamt Tito nicht sonderlich entgegen kam. An anderer Stelle habe ich mir erklären lassen, daß es unpassend sei, generell von „Tito-Partisanen“ zu sprechen. Dieses Feld war sehr inhomogen gewesen.

Wir haben lieber nicht darüber nachgedacht, daß 1941 einerseits die Balkan-Mission der Nazi begann, aber andrerseits auch zugleich eine Art Bürgerkrieg durch die Reihen der südslawischen Völker ging. Der war 1946 keineswegs beendet.



Jasenovac: es ist nicht vorbei. Nirgends.

Darum dieses Motiv „Stalin oder Tito“. Das ließ mich an den Serben Jova denken, der diese Frage nicht erst abwarten wollte, sondern Jugoslawien heimlich verließ und sein Leben als Bergmann in Großbritannien zubrachte. Das kam alles wieder…

Vor rund einem Jahrzehnt habe ich einen Serben kennengelernt, der unter anderem als Panzerkommandant am Einsatz in Vukovar teilgenommen hatte. Eine der entsetzlichen Geschichten im Untergang Jugoslawiens. Von ihm habe ich mir ein Sprüchlein notiert, das solche Situationen faßt: „Svaka vama cast, al' što dalje od nas!“ Das bedeutet ungefähr: „Viel Glück für Dich, aber weit weg von uns!“

Denken Sie nun nicht, das sei eine Domäne der südslawischen Leute. Das ist unser Europa, heute mehr denn je, da es so breit nach rechts gerutscht ist. Ich hab gut in Erinnerung, wie einige meiner Verwandten sich recht besorgt gezeigt haben, es möchten solche Aspekte unserer Familiengeschichte nicht offengelegt werden.

-- [Wir Ikarier] --

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