14. September 2020
Seilschaftler?
Ein Bonmot aus dem Reich der Soziologie besagt, daß
jemand innerhalb einer Institution so lange aufsteigt, bis
er die Decke seiner Kompetenzen erreicht hat. Wenn diese
Person dann dort verbleibt, trägt das zum Absacken der
Institution bei. Weshalb? Weil jemand in dieser Lage nur
mehr schwächere Leute ins eigene Team holt und bessere
meiden wird, um seine Hausmacht zu sichern.
Nimm dazu
die österreichische Volkskultur, wonach immer noch
Protektion vor Kompetenz geht, nein, heute mehr denn
je, weil gute Positionen vielfach an die Stabilität von
Seilschaften geknüpft sind. Ein alter Begriff nennt das
Verhaberung. (Die Haberer halten zusammen: „Du bist eh
mein Haberer, gell?“)
Nun hat
aber - vom simplen Seilschaftler bis zu den Taliban - offenbar
jeder Aufstiegswillige das Bedürfnis, seine Strategie nach außen
zu beschönigen, zu bemänteln, sich eine Aureole des Edlen zu
verpassen. Vermutlich ist das auch ein guter Sirup, damit
möglicher Selbstekel süßer schmeckt und einem leichter
runtergeht.
Eines muß klar sein: wer zwischen dem eigenen
Denken, Reden und Tun permanent Diskrepanzen zuläßt, beschädigt
damit nicht bloß sein Sozialverhalten, sondern holt sich auch
verläßlich einen Schatten auf der Seele. Müßte ich das
erläutern, wo doch gerade ein Hace Strache in Wien kandidiert?
Dieses Gesicht erzählt Bände.
Es ist klar, daß solche
Leute dauernd von „Werten“ faseln, von „Gewissen“ reden, von
großen Emotionen, daß sie permanent zu großen Gesten ausholen,
daß ihr Mimikry von Begriffen des Ethos schillert. Zuckerwatte
für unsere Augen und Ohren.
Ich erinnere mich an eine
Wahlkampfsituation. Wir hatten jüngst laufend
Wahlkämpfe, da war ich recht erstaunt, daß
erwachsene Männer via Social Media von Sebastian
Kurz schwärmten, als wären sie zwölfjährige Mädchen,
die um ein Eck kommen und plötzlich vor Justin
Bieber stehen.
Was bewirkt an einem
gestandenen Kerl so ein Verhalten? Rätsel? Aber
nein! Am 5. September 2020 hab ich meinen
Logbuch-Eintrag
so eröffnet: „Menschen. Haben. Interessen.
Punkt!“ Und sie vertreten ihre Interesse,
manche eben notfalls auch unter heftiger Beugung
jener Prinzipien, die in großen Buchstaben über das
Portal ihres Interessensgeschäftes geschrieben
stehen.
Ich erinnere mich an einen Moment, da
mir ein hochrangiger Gleisdorfer ÖVP-Funktionär in
Sachen Sebastian Kurz einen kleinen Dialog anbot.
Weil
mir nichts an Scheindebatten liegt, meinte ich
sinngemäß: „Machen wir es einfach. Schick mir
einen Link zu einem Interview mit Kurz oder zu einem
Essay von Kurz oder auch nur einer Glosse von ihm,
wonach ein gebildeter Mensch sagen würde:
Donnerwetter! Das liest sich gut! Dann reden wir
weiter.“
Die Antwort kam postenwenden
und knapp: „Tut mir leid. Kann ich nicht.“
Danke! Mehr muß ich im Moment nicht wissen.
Wozu kennen wir den Begriff „staatsmännisch“?
Was soll ich mir heute unter einem Staatsmann
vorstellen? Na, ich hab Begriffe und erwarte von
anderen Leuten, daß sie auch über ein paar klare
Begriffe verfügen, denn sonst wissen wir nicht,
worüber wir reden.
Von einem Staatsmann
erwarte ich Geist und Eloquenz, daß er sich
individuell ausdrücken kann und nicht in PR-Floskeln
redet. Ich erwarte von ihm profunde
Geschichtskenntnis bezüglich unseres Landes und
Kontinents. Ich erwarte politisches Geschick im
Sinne der Staatskunst, also zugunsten der Menschen
des Landes und eben neuerdings auch des Kontinents.
Ich erinnere mich an die Worte einer
erfolgreichen steirischen Unternehmensberaterin, die
sinngemäß sagte: „Wozu brauchen wir einen Chef?
Damit er uns Sicherheit gibt. Kann er das nicht,
brauchen wir keinen Chef.“ (Sie meinte etwas
Inhaltliches, keine Mauer mit Stacheldraht.)
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[Die neue
Bourgeoisie] --
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