30. August 2020
Volk und Bevölkerung
Wenn ich gestern
auf das Thema Palästina eingegangen bin, dann unter anderem,
weil wir neuen Klärungsbedarf haben, was eine Nation sei, ein
Nationalstaat, eine Ethnie; denn was ein Volk sein soll, wird
doch sehr unterschiedlich gedeutet.
Auf jeden Fall sind
die Worte Volk und Bevölkerung – je nach Zeit - mit ganz
verschiedenen Bedeutungen aufgeladen. Das wurde vor rund hundert
Jahren energisch verhandelt; unter anderem mit den Waffen eines
damals völlig neuartigen, mechanisierten Krieges.
Als in
einem Posting auf Facebook das Wort Gallipoli vorkam, hab ich
den Song „The Band Played Waltzing Matilda“ von Eric
Bogle herausgesucht. Ein junger Australier lebte sein
unbeschwertes Leben: „When I was a young man I carried my
pack / And I lived the free life of a rover“.
Doch
1915 änderte sich das radikal: „So they gave me a tin hat
and they gave me a gun / And they sent me away to the war“.
Es endete entsetzlich: „And saw what it had done, Christ I
wished I was dead / Never knew there were worse things than
dying“.
Finbar Furey und Christy Dignam schildern
eine ähnliche Geschichte in „Green Fields of France“. An einem
Grab fragen sie „How do you do young Willie Mcbride“,
denn „I see by your gravestone you were only nineteen / When
you joined the great falling in 1916“.
Schriftsteller Rudyard Kipling hatte seinen Sohn bedrängt, in
den Großen Krieg zu ziehen. Der Bub starb im Oktober 1915 an der
Westfront. Im Jahr darauf widmete Kipling dem sechzehnjährigen
Soldaten Jack Cornwell zu dessen Tod das Gedicht „My Boy
Jack“.
"Have you news of my boy Jack? / Not this
tide. / When d'you think that he'll come back? / Not with this
wind blowing, and this tide.“
Es wurde nicht bloß
ein Völkerschlachten, es war auch eine Ära der ethnischen
Säuberungen. Wer Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa
Dagh“ gelesen hat, weiß vom osmanischen Völkermord an den
Armeniern, den die türkische Politik bis heute aggressiv
leugnet.
Ich erinnere mich noch an die Schwärmereien rund
um den bezaubernden Film „Zimt
und Koriander“, die Regisseur Tassos Boulmetis 2003
ausgelöst hat. Darin klingt die Vertreibung griechischer Leute
aus der Türkei an.
Genau 20 Jahre davor waren wir schon
einmal ins Schwärmen geraten, ohne uns auf die Hintergründe und
das gleiche Thema näher einzulassen. Costas Ferris erzählte 1983
von den Rembetes und deren Musik, die dem Film seinen
Titel gegeben hatte: „Rembetiko“.
Der Konflikt zwischen Israelis und palästinensischen Leuten
wurzelt in jenen Umbrüchen, die angestoßen wurden, als das
Osmanische Reich immer mehr Gebiete aufgeben mußte und
europäische Dynastien ihr Werk der Kolonialisierung der Welt mit
Waffengewalt fortsetzte.
Darin fand auch Österreich
seinen Part. Man gedachte den Balkan zu kolonisieren, nachdem
man die Verteilung der Welt unter europäischen Kräften
verschnarcht hatte. Die einst osmanischen Provinzen Bosnien und
Herzegowina waren schon unter Kontrolle kaiserlicher
Gefolgsleute. Die Schüsse von Sarajewo wurzeln in diesen
Zusammenhängen.
Conrad von Hötzendorf und der kolossal
inkompetente Oskar Potiorek sahen damals eine Chance, Serbien
niederzuwerfen, weil sie von diesem Volk zu recht den größten
Ärger bei der Kolonisierung des Balkans erwarteten. Serbien war
von den Balkankriegen der Jahre 1912 und 1913 ausgeblutet, als
es gelang, die Osmanen aus diesem Teil Europas zu verdrängen.
Leo Trotzki hat als Journalist Reportagen von den
grauenhaften Erfahrungen der Menschen in diesen Kriegen
hinterlassen. Wie erwähnt, rund um solche Kräftespiele wurden
Bevölkerungsteile nach ethnischen Kriterien vertrieben,
ermordet, zerrieben… und im Kielwasser des „Zweiten
Dreißigjährigen Krieges“, was die Weltkriege des 20.
Jahrhunderts meint, entstanden viele neue Nationalstaaten, von
denen wohl kaum einer ethnisch homogen ist.
Das Gedicht von Kipling habe ich auch
2011
dann 2017 in
anderen Zusammenhängen zitiert. [Eine Facebook-Notiz] |