19. Juli 2020
Sprücheklopfer
Wenn mich in den letzten Jahren
etwas gegen Teile des Bildungsbürgertums aufgebracht hat, dann stechen
dabei zwei Dinge hervor. Erstens eine verblüffende Rücksichtslosigkeit
von Aufstiegswilligen, die sich dabei mit sanften Posen verkleiden.
Zweitens diese Flut dummer Memes, salbungsvoller Sprüche und gefälschter
Zitate, mit denen sich laufend wer produziert.
Ich hab es
inzwischen aufgegeben, in der Art nachzufragen: „Kafka? Glaub ich nicht!
Kannst Du die Quelle nennen?“ Wer Bücher liest, kennt diesen oder jenen
Tonfall. Wie deppert muß jemand sein, um Franz Kafka folgenden Satz
unterzuschieben?
„Ein Idiot ist ein Idiot. Zwei Idioten sind zwei
Idioten. Zehntausend Idioten sind eine politische Partei.“ Dazu hab ich
meist auf Anhieb einen simplen Impuls wie: Wenn dir Literatur derart
egal ist und du Kafka nicht gelesen hast, dann halt die Fresse! Doch es
ist natürlich komplexer.
Best
of Bullshit: Wann hat denn Herr Goethe gelebt?
Ich stoße mich vor allem an dieser Art
von Raubzügen. Ich nehme es persönlich, daß jemand sich mit
Versatzstücken eines geistigen Lebens behängt, aber zugleich
demonstriert, wie sehr er ein geistiges Leben verachtet.
In der
milden Deutung wiederhole ich dafür gerne meinen Lieblingsvergleich.
Wenn die industrielle Landwirtschaft ihre Produkte vertickt, indem sie
für ihre eigene PR-Arbeit der bäuerlichen Landwirtschaft deren Bilder
und Begriffe raubt, entsteht ein Problem in zwei Richtungen.
Die
bäuerliche Landwirtschaft wird in ihren Marktchancen beschädigt und
daher in ihrer Existenz angeschlagen. Die Kundschaft der industriellen
Landwirtschaft wird mit gefälschten Bildern hinters Licht geführt.
Voltaire? Blödsinn! (Evelyn Beatrice Hall)
Das läßt sich auf unser Bildungswesen und unseren Kulturbetrieb
übertragen. Wer solcherart in Fragen der Wissens- und Kulturarbeit
betrügt, beschädigt das geistige Leben der Menschen und untergräbt die
Existenzen seriös arbeitender Leute.
Das mag halb so wild sein,
wenn wir über reichlich Ressourcen verfügen, so daß verschiedene, dabei
auch unseriöse Konzepte nebeneinander Platz haben. Werden aber die
Ressourcen knapp und setzten Verdrängungswettkämpfe ein, verschiebt sich
diese Situation radikal.
Gerade die Social Media haben während
der letzten zehn Jahre sehr deutlich gemacht, wie schwach Teile einer
aufstiegswilligen, zugleich abstiegsgefährdeten Mittelschicht inhaltlich
aufgestellt sind.
Das wären aber dann die Leute, mit denen ich
auf einem Markt mit geschwächter Nachfrage und abrutschenden Ressourcen
konkurrieren muß. Um es mit einem Wort zu sagen: Dreckskonkurrenz.
Verstehen Sie mich recht, ich ziele hier noch nicht einmal auf
Fragen nach einem Bildungsgrad oder nach Belesenheit, denn das ist kein
entscheidender Punkt. Es geht und einen ganz anderen Aspekt. Ein
Beispiel. Ich bin seit einer Ewigkeit und drei Tagen mit Hacklern
befaßt, mit alten Handwerkern, mit Leuten, unter denen ich noch keinen
avancierten Intellektuellen getroffen hab, aber etliche sehr kluge
Leute.
Unter diesen Leuten gibt es eine simple Regel: Man sagt
nur, was man kann und man kann das, was man sagt. Wer etwas nicht weiß,
fragt. Dieser Modus liefert mir gute Kriterien für ganz verschiedene
Metiers. (Siehe zum Thema auch: "zitate von zitaten von zitaten" und
"Rotiert Voltaire?"!
-- [Bourgeoisie]
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