17. Juli 2020

Moralisches

Vor einigen Tagen war ich hier bei der „Metaphysik“ von Aristoteles angelangt. Da findet sich allerhand, was man heute in diesem Sinn deuten könnte: Kompetenz geht vor Protektion. [Eintrag vom 11.7.20] Daß mir mein Alltag in vielen Bereichen die umgekehrte Anordnung zeigt, muß ich zur Kenntnis mitnehmen. Es wäre vergeudete Zeit, darüber zu klagen.

Netzwerke wirken. Es gilt eben das Prinzip Antwortvielfalt. Das Konzept der Heuchelei erweist sich an vielen Stellen als effizient. Es bringt mich nicht weiter, das mit einem moralischen Diskurs zu belegen. Eigentlich bleibt unterm Strich ohnehin nur ein Wettbewerb der Verfahrensweisen.


Wir haben im Kulturbereich ähnliche Ambitionen, wie sie religiöse Gemeinschaften zeigen. Ethos soll Legitimation bieten und Legitimation soll Einkommen sichern. Das handelt auch von interessanten Paradoxien.

Wo jemand behauptet, Kunst dürfe alles und müsse nichts müssen (ich zähle mich zu diesem Lager), werden die Leute schnell nervös. Bevor sich nun jemand vor Ömpörung verschluckt, die Präzisierung: Kunst darf alles. Daran muß ich festhalten. Kunstschaffende sind aber jeweils den Konventionen ihres Gemeinwesens unterworfen, dem sie sich in den möglichen Konsequenzen stellen müssen.

Kurzfassung: die Kunst darf alles, der Mensch in Gemeinschaft darf nicht alles. Falls Sie das nun für Sophisterei halten, beachten Sie bitte: wir brauchen offene Denkräume ohne menschlich definierte Limits. Sonst rennen wir nur im Kreis. Aber in unserem Handeln sind wir einander verantwortlich.


War das jetzt so schwer? Die Diskrepanz zwischen behaupteter und praktizierter Ethik ist unter uns Kunstschaffenden freilich nicht geringer als in anderen Milieus. Wieso auch? Das Leben in der Kunst bietet keine höheren Weihen, sondern bloß spezifische Wahrnehmungserfahrungen.

Ich erinnere mich noch daran, daß ich vor Monaten ein paar heiße Tränen der Rührung vergossen hab, als ich zu lesen bekam, was eine Ex-Sozialarbeiterin, die inzwischen etwas rücksichtslos im Kulturbereich dilettiert, ihrer Community per Verbeugung mitteilte: „Demut und Dankbarkeit, Mut und Kraft“.

Es geht ja ziemlich zu Herzen, wenn eine sich demonstrativ links aufgestellte Person so vollmundig mit Motiven des Katholizismus, wahlweise „bürgerlichen Tugenden“, schmückt. Ich halte es da lieber mit der buddhistisch geprägten Denkweise, die auf Folgerichtigkeit achtet. Alles hat Konsequenzen. Nichts ist egal.

So würde ich den Begriff Karma knapp fassen, der nach meinem Verständnis kein moralisches Konzept ausdrückt, sondern unsere Aufmerksamkeit für Kausalitäten schärft. Das bringt mich auch in der Kunst weiter. Nicht Moral, sondern die Beachtung von Kausalität.

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