11. Juli 2020

Verschnöselung

Es wird wohl schon aufgefallen sein, daß ich mich an einer Verschnöselung des regionalen Kulturbetriebes stoße und daß es mir nicht paßt, wie sich Spießer in Pose werfen, um ein Kunstgeschehen zu simulieren, das stellenweise von Politik und Verwaltung über alles andere drübergelegt wird.

Ja, richtig! Ich spreche eine Konkurrenzsituation an, die auf Verdrängung zielt, wo - als Ausdruck zeitgemäßer Kulturpolitik - komplementäre Anordnungen gefragt wären. Das bräuchte mich kaum scheren, wäre es ohne diesen Verdrängungsprozeß aufgekommen, in dem die neue Bourgeoise Grundlegendes zur Seite drängt, auch abzustellen versucht.


Das bliebe alles kaum erwähnenswert, wenn heute nicht Kulturbudgets gekapert würden, um damit andere, widmungsfremde Zwecke zu bedienen. Es hatte unmittelbar nach 2010 begonnen, wurde 2015 bis 2020 vielerorts zum Standard.

Welche Zwecke? Etwa die Öffentlichkeitsarbeit diverser Managements, wofür man mit allerhand Bastelrunden und Hobbykräften ein Kunstgeschehen simuliert. Ich hab bei meiner Einleitung zur Ausstellung von Chris Scheuer unter anderem von der Autonomie der Kunst gesprochen: daß sie sich selbst die Regeln gibt und keinen anderen Zwecken als ihren eigenen unterworfen ist.

Deshalb meine ich, eine „Kunst um zu…“ sei keine. Wer zu benachbarten Zwecken künstlerische Techniken anwendet, für Geselligkeit mit sich und anderen nutzt, kann sich und den Mitmenschen eventuell eine Freude machen. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber Gegenwartskunst ist keine Wellness-Zone, kein Erbauungs-Institut und keine soziokulturelle Reparaturanstalt.

Ich hab in dem Zusammenhang bei Scheuer auch eine alte Empfehlung erwähnt: Erkenntnis möge sich erweisen, nicht bezahlt machen.


Das paßt insofern zum Thema, als wir grundsätzlich manche Erfahrungen besser um ihrer selbst machen. Das mag zu Kompetenzen führen, die dann auch in anderen Zusammenhängen nutzbar sind. Deswegen muß die Kunst ja nicht gebeugt, anderen Zwecken unterworfen werden.

Genau genommen argumentiere ich da in der Tradition von Aristoteles, der von Wissenschaft, meinte, jene, die um ihrer selbst willen und bloß zum Zwecke der Erkenntnis betrieben werde, sei höher zu schätzen, als jene, die anderem Nutzen dient. Wir unterscheiden noch heute zwischen Grundlagenforschung und angewandten Formen.

So wurde einst auch „angewandte Kunst“ von den „schönen Künsten“ unterschieden. Wien hat beispielsweise eine Universität für angewandte Kunst, passend am Oskar-Kokoschka-Platz 2.

Aristoteles meinte in seiner Metaphysik“ schon auf den ersten Seiten: „Allgemein in der menschlichen Natur liegt der Trieb nach Erkenntnis. Das zeigt sich schon in der Freude an der sinnlichen Wahrnehmung, die auch abgesehen von Nutzen und Bedürfnis um ihrer selbst willen geschätzt wird…“

Er spricht sich in diesem Werk auch für die eigenen Erfahrungen aus: „Denn der wissenschaftliche Mann, meint man, dürfe nicht die Stellung eines Geleiteten, sondern müsse die des Leitenden einnehmen und nicht von einem anderen seine Überzeugung empfangen, sondern selber den minder Einsichtigen ihre Überzeugung vermitteln.“

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