3. Juli 2020
Das Revival der Spießer
Menschen tun Dinge. Dadurch entstehen Ressourcen, deren Nutzung wir in
Gemeinschaft laufend verhandeln. Man muß kein Wirtschaftsstudium
absolviert haben, um zu begreifen, daß der Gebrauchswert und der
Handelswert von Gütern zwei ganz verschiedene Kategorien sind.
Es ist keine Kategorie der Kunst, sein Brot zu verdienen!
Falls ich für eine Reparatur einen Elektriker
brauche, werde ich vielleicht überlegen, wie viele Stunden ich Geld
verdienen muß, um eine Handwerkerstunde zu bezahlen. In einer
arbeitsteiligen Gesellschaft haben wir lange Traditionen, den Gütern und
Dienstleistungen einen bestimmten Wert beizumessen.
Der Preis
eines Kunstwerkes ist völlig willkürlich und rational bestenfalls über
die Marktlage begründbar. Aber das ist der Preis der Arbeitsstunde eines
Handwerkers ebenso. Wertfragen! Deshalb habe ich vorhin wiederholt
Bourdieu erwähnt. Sein Konzept von den verschiedenen Kapitalsorten, die
ineinander konvertierbar sind, erscheint mir sehr nützlich, um solche
Zusammenhänge zu verstehen und zu beschreiben.
Auch in solchen
Fragen kommt man ohne Wirtschafts- oder Philosophiestudium ganz gut
zurecht. In meinen Teenagertagen war unter meinen Leuten Wolfgang Ambros
sehr populär. Wir konnten viele seiner Lieder ansatzlos mitsingen; so
auch Passagen wie: „A Mensch mecht i bleibn und i wüll net vakauft
werdn wia irgend a Stückl Woahr. Net ollas, wos an Wert hot, muaß a an
Preis hobn, oba moch des amol wem kloar.“
Wollen wir Spießer erschrecken, brüllen wir: "Money for
nothing and chicks for free!"
In diesen Wochen einer bemerkenswerten Krise konnten wir zusehen, wie
allerhand Existenzen den Bach runtergingen und die eigene womöglich in
erhebliche Schräglage kam. Das beförderte Debatten über Geldflüsse.
Kürzlich schrieb mir ein
Lehrer, dessen Lebenserfahrung von einem ganz anderen sozialen
Zusammenhang handelt als mein Weg im Kreis der Freelancers: „Na ja,
wenn du von ‚Leistungsaustausch‘ sprichst, kommt mir der Begriff
‚Hybris‘ in den Sinn....Vom beduerfnisorientierten Grundeinkomen halte
ich ja viel, aber das Ganze als Anspruch zu sehen, missfällt mir auch
als Künstler.....“
Ein Künstler, der für Arbeit Entgelt
fordert? Geht nicht? Nun hatte ich in
meiner Notiz, auf die sich der
Mann bezog, weder das Thema Grundeinkomen auf den Tisch gelegt, noch
Forderungen gestellt, außer der einen: unsere Begriffe zu überprüfen,
damit wir wissen, wovon wir reden.
Darf man sich in einer Dremokratie eine ständische
Gesellschaft wünden?
Also: der Lehrer mit seiner Erfahrung des festen Dienstverhältnisses,
kommt mir mit einem Hybris-Vorwurf, wo ich über die Marktsituation
freischaffender Künstler nachdenke, weil wir ja in einer Geldwirtschaft
leben und der Tauschhandel bestenfalls eine Nischen-Sache ist.
Ich weiß ja, woher so ein Wind weht. Ich bin damit aufgewachsen. Der
Mythos von „wahrer Kunst“, die nur aus „Entbehrung“ komme. Spitzwegs
„Der arme Poet“ (1839) als Rollenzuschreibung. Die Rache des
Spießers, der sich nicht getraut hat, ein Leben in der Kunst zu führen
und dafür seine sozialen Sicherheiten aufs Spiel zu setzen.
Klar,
daß aus diesem Winkel ein Ruf nach sozialer Hierarchie kommt, als wären
wir noch eine ständische Gesellschaft: „Kaiser, König, Edelmann,
Bürger, Bauer, Bettelmann…“ und jeder wisse, wo sein Platz ist.
Dazu an mich, den gewesenen Lehrbuben, der Appell: „…kein Grund als
Nicht-Akademiker einen Akademiker runterzumachen, Martin.“ Ferner, wie
hier schon erwähnt, die explizite Empfehlung: „Vielleicht solltest du
dich einfach als Literat ein bisschen demütiger gerieren.“
Akademiker, Lehrer, gesicherte Existenz, legt mir rotznäsigem
Freelancer, der ohne Matura blieb, heute nahe, meinen Platz zu kennen,
wer auch immer den definiert habe. Das wäre so ein Beispiel dafür, was
ich die neue Bourgeoisie nenne. Da nennt einer seine Gründe nicht,
stellt diese nicht zur Debatte, sondern raunt Moralisches. Das ist
Esoterik!
Wenn wir in der aktuellen Krisensituation, innerhalb
derer die Pandemie nur ein Aspekt von mehreren ist, vorankommen wollen,
sind Debatten fällig, was unsere Zukunftsfähigkeit nun verlangt. Dabei
scheint diese Bourgeoisie nicht hilfreich zu sein.
-- [ Kulturpolitik]
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