20. Juni 2020

Ästhetik. Also Aisthesis. Das heißt nicht Schönheit, sondern Wahrnehmung. Etwa so, wie unterm Jahr nicht oft: Erst diese eigentümliche Sommerluft, wie Vanillecreme, als wäre draußen alles fröhlich. Dann die milde Nacht, ganz ohne jeden kalten Moment. Anderntags erst dieser Aquarellhimmel. Schließlich kommt die Regenluft, die vieles mitbringt, auch eine Hauch Erde schmecken läßt… bis der Regen da ist. Da riechen die Gräser anders, auch der warme Asphalt.

Ich bekomm meine Bunkertüre nur mühsam auf. Zwar bin ich gerne mit Menschen, aber aus den letzten hundert Tagen muß ich mich eigens aufraffen, um das Haus zu verlassen. Da draußen ist nichts, was mich abhielte. Es ist eher die Stille, die auf mir hockt und sich nur langsam abschütteln läßt.

Dann aber verdichten sich Dinge plötzlich. Da war erst der Paketbote, der mir via Sprechanlage zwei Sendungen ankündigte und smart genug war zu fragen: „Wo muß ich hin?“ (Es gibt hier im Hof viele Optionen.)

Der Witz an der Sache: Garagenliebling Szamuhely hatte mich schon gut zwei Wochen gefragt, ob ich denn keine Post erhalten hätte. Von Dottore Gall war andrerseits kein Hinweis gekommen. Und nun beide Bündel am gleichen Tag.

Darin einige Drucksorten aus den 1960er Jahren und zwei französische Klassiker in 1:43. Wurde je wieder ein Auto konstruiert, das mit so geringem materiellen Aufwand und einem so zarten, standfesten Motor derart umfassend nutzbar wäre, selbst wenn man damit die Welt umrunden wollte? War je ein so erschwingliches Fahrzeug so langlebig? Nein, der 2CV steht da sehr allein in unserer Mobilitätsgeschichte.



Bucky Ball auf winzig: Der kleine R 16 vor der
Baumgartner'schen Zuckerdose

Den Renault R 16, der auch im Packerl war, hab ich gerade hier vorgestellt: Routen #78. Dabei hab ich ein Stück Designgeschichte angerissen, das vom Ponton zum Keil führte. Design! Wie sind Massengüter gestaltet? Auch Kleidung oder Essen. Womit umgeben wir uns? Geschmacksfragen. Große Themen!

Als ich diese Sendungen auspackte, hatte ich schon einen Nachmittagstermin bei Designerin Barbara Baumgartner, die grade wieder in Österreich weilt. Das ergab dann zu viele Themen für die Stunde, bis mich Manu abholen würde, dessen Leidenschaft alten Zweitaktern gilt, die er optimiert, mit denen er auch Rennen fährt.



Manuel Wutti

„Je schneller ich werde, desto langsamer wird alles um mich herum“, sagte mir Manuel Wutti. (Wahrnehmung!) Davon werde ich noch genauer erzählen. Es ist garantiert eine spezielle Körperchemie, die so einen kognitiven Sonderzustand auslöst. Ein interessantes Thema, wenn man verstehen möchte, warum manche von uns in den Speed Demon vernarrt sind.

Als ich Baumgartners Haus verließ, war Wutti grade erstaunt, daß ihm mitten in Gleisdorf ein Pony gegenübersteht. Das sah ihn aus einem Garten heraus an. Ich arbeite am Klassiker-Magazin von Wutti mit und wir haben in Sachen Mobilitätsgeschichte nun einiges auszuhecken. Die Pandemie mit dem Lockdown war ein heftiger Schlag in alle unsere Pläne. Aber Wutti und ich gehören zum gleichen Club; zu jenem mit dem Motto „Vom Jammern wird nichts besser“.



Lanner'sche Checklisten

Also: Themen erschließen. Geschichten erzählen. Die Welt in ihrer Komplexität und in ihren derzeit so radikalen Umbrüchen an manchen Ecken greifbarer machen. Das sind schön Aufgaben. Wir haben folglich zu tun… falls wir dabei nicht fulminant pleite gehen und mit unseren romantischen Plänen absaufen.

Welche romantische Pläne? Na, unsere Leben. Die sind das. So war es auch mit dem Magazin-Auftakt, als er mir vorschlug mitzuziehen. Ich: „Also sehr viel Arbeit für fast kein Geld?“ Er: „Ähem, räusper, so ungefähr.“ Ich: „Cool! Das müssen wir machen!“

Und da saßen wir über Leihgaben aus dem Archiv von Ferdinand Micha Lanner, der unglaubliches Material besitzt, der mich damit arbeiten läßt. (Manchmal beneide ich mich selbst und die spannenden Menschen und Aufgaben.)

-- [Die Novelle] --

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