27. Mai 2020

Ich hab jetzt noch mein erstes amtliches Eisen hervorgekramt. Nach einigen illegalen Abläufen, die auf dem Lande (Hausmannstätten) recht unkompliziert machbar waren (Puch 175 und so), wurde es bei mir eine Horex Regina. So alt wie ich, Eintopf, 400 ccm und mit über 20 PS damals stattlich in der Welt… inklusive einem Bremsweg wie eine Lokomotive.



Alter Dampfhammer: Horex Regina aus den 1950ern

Natürlich war das so eine Kentauren-Geschichte. Motorradfahrer galten als Kanaillen, die sich kein gescheites Auto leisten konnten. Helm? Ist nur was für Rennfahrer. Das Eisen war laut, räudig, etwas zickig zu handhaben, mußte natürlich angetreten werden, denn vom E-Starter hab ich nicht einmal geträumt. Das alles gab eine Menge Stoff für Attitüde.

Ich hoffe, die Notizen der letzten Tage vermitteln eine Ahnung von der massiven Ambivalenz dieser Helden-Posen. Sie büßen ihre Anziehungskraft keineswegs ein, falls man ihre gefährlichen Seiten kennengelernt hat. Ganz im Gegenteil. Das ist so smart an diesem Konzept. Wer dem Tod entronnen ist, zieht draus leicht den falschen Schluß, nämlich dem Tod trotzen zu können, statt ihn zu fürchten und zu meiden.

Ich nehme an, das ist auch ein wesentlicher Effekt des Faschismus, doch die ideologischen Wurzeln, um aus Männern Nutztiere zu machen, sind natürlich älter. Ob „Der soldatische Mann“, ob der Himmelsstürmer oder Welteneroberer, meist rafft sich da ein Kerl auf, um sich einsam ins Rad der Geschichte zu werfen. Eine betörende Option.

Das ist eine meiner Lieblingsmetaphern für diese Posen: sich einsam ins Rad der Geschichte zu werfen. Während die Quest dem individuellen Erfahrungs- und Erkenntnisgewinn verschrieben ist, will die Conquista erobern. Wozu? Angreifen, austöten, besetzten, besiedeln, in Besitz nehmen. Das Muster ist klar.

Mein Standard-Mantra zu diesem Thema ist ein Satz des Soziologen Gunnar Heinsohn: „Um Brot wird gebettelt, um Rang wird geschossen.“ Damit deutet sich an: hier betreten wir das Reich des Irrationalen.

Attitüde und Kleinholz: Crash-Rennen in den 1970ern"

Es ist nicht zufällig gewählt, daß ich im gestrigen Eintrag dieses Foto gezeigt hab: meinen Sohn an meinem Körper geborgen. Das war recht wenige Monate, nachdem ein unachtsamer LKW-Fahrer seine Zugmaschine anstarten mußte, um sachte von meinem Körper herunterzurollen und mich freizugeben.

Wie ich es aus meiner langjährigen Lektüre antiker Stoffe hätte wissen können, der Held wird gebrochen. Das scheint unausweichlich. So bin ich folgerichtig gebrochen worden. (Das übrigens meint der Begriff Karma: Folgerichtigkeit.)

Mein Überleben war damals durch eine Kette günstiger Umstände gesichert, wobei kein Glied hätte fehlen dürfen. Verfügbarer Notarztwagen, verfügbarer Hubschrauber, ausgeschlafenes Chirurgen-Team und dann all die Unwägbarkeiten, von denen man mir später erzählt hat.

Als ich wieder gehen konnte, begann ich den gesamten Ablauf penibel zu recherchieren, mußte alle erreichbaren Details wissen, um den Schrecken zu bannen. Dazu gehört folgendes Kuriosum. Manchmal geht ihnen auf der Chirurgie jemand ex und es ist unerklärlich, weil die Person eigentlich in einen relativ stabilen Zustand gebracht werden konnte. Manchmal überlebt jemand, worauf man nichts mehr gegeben hatte.

Wir sind also in Kräftespiele verwoben, die vorhandene Kenntnisse völlig übersteigen. Da bleibt für Attitüde und Kerl-Nummer kein Spielraum mehr. Aus solchen Zusammenhängen bin ich auf das Kind zugegangen.

Es hat mich verblüfft, wie fraglos und ohne jede Mühe es wurde, daß ich plötzlich einen Schutzbefohlenen hatte, den ich an meinem verwüsteten Körper bergen konnte, womit ich dann auf eine Art in der Welt war, die ich vorher weder gekannt, noch mir vorgestellt hatte. Eine sehr irritierende Erfahrung: Für ein anderes Leben zu sorgen, statt das eigene Leben zu verströmen. Ich bestaune diesen Unterschied bis heute.

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