26. Mai 2020
Ich hab nun an einigen
Stellen meiner Notizen betont, unsere Spezies sei durch
Kooperation vorangekommen, nicht durch Konkurrenz. Was ich
gerne etwas ironisch die Kerl-Nummer nenne, ist das
Rollenbild des Helden.
In der griechischen
Mythologie sind das nie einfach strahlende Figuren, die mit
ihrer singulären Exzellenz allen anderen auf die Nerven
gehen dürfen. Sie werden stets gebrochen. Ob das nun so ein
wilder Hund wie Prometheus ist oder so eine beeindruckende
Persönlichkeit wie Oidipus, dessen Bild zuletzt Sigmund
Freud recht erfolgreich vermasselt hat.
Honda XRV 750 "Africa Twin",
Status Mai 1992
Das geduldige Fleisch, das Schlachtvieh unter den Kerlen, ist
ein ideologisches Produkt, funktioniert analog zu Nutztieren. Es
hat sich dann gewöhnlich nicht der leidenschaftliche Krieger,
der Haudegen, erfolgreich fortgepflanzt, weil der von Feinden
erschlagen oder von den Löwen gefressen wurde, manchmal auch von
Hunden; woran uns Antigone erinnert, eine Tochter des Oidipus.
Das Gemeinwesen gedeiht durch die Friedfertigen und wir
wissen heute, daß der Gewaltverzicht eine wichtige Quelle von
Zivilisation ist. Ich hab schon als Kind den Satz gekannt, der
einem allerweil wo zuflog: „Krieg ist der Vater aller
Dinge“.
Das hatte so seine Ironie im gemeinsamen
Haushalt mit einem schwer versehrten Kriegskrüppel, der seine
Emotionen keinesfalls immer unter Kontrolle hatte. Mein Vater
trug etwas sehr Düsteres im Herzen, das in einer Brust schlug,
die mit glänzendem Metall behängt worden war: Eisernes Kreuz,
Nahkampfspange, Goldenes Verwundetenabzeichen.
Honda XL 350: "Never A Dull Moment"
Aber Heraklit! Der zur Nützlichkeit verkürzte Satz lautet
eigentlich so: „Krieg ist Vater von allen, König von
allen. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu
Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“
Das ist eine sehr elegante Schilderung jenes auf
Sklavenarbeit beruhenden griechischen Bürgertums, dessen
Stadtstaaten freilich permanent allerhand Kriegsgeschäft zu
erledigen hatten, um ihren Status zu sichern und den
endlosen Strom versklavter Arbeitskräfte nicht versiegen zu
lassen.
Das alte Ideal des soldatischen
Mannes hat viele zivile Varianten, die bis heute gepflegt und
inszeniert werden.
Eben weil ich in meinen Kindertagen ein Insider jener von
Gewalttätigkeit geprägten Existenz traumatisierter Männer war, weiß
ich verläßlich: das wird einem nicht explizit beigebracht.
Das muß niemand konkret aussprechen. Kultur ereignet sich viel
subtiler und vielfach implizit. Das Symbolische erzählt sich auf
wirksame Art.
Das bedeutet auch, obwohl mein Verstand
beizeiten gut gerüstet war, diese Kräftespiele zu entschlüsseln und
ihre Relevanz zu überprüfen, war das Motiv sehr gründlich in mich
eingeschrieben.
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Es geht auch
umgekehrt: Der umfassende Rollenwechsel beschriftet einen neu, die
adäquate
Deutung kommt hinterher. |
Das hab ich lange nicht kapiert. Im Rückblick offenbart eine
Biographie natürlich solche Prägungen.
Das Motorrad-Foto im
vorigen Eintrag bewegte
Kulturwissenschafter Paul Stepan zum Kommentar: „Viel
Terminator geschaut damals?“ Amüsant, wie sehr das den
Punkt auf eine Art trifft, Mythos und Lebenspraxis in
Deckung bringt, obwohl wir alten Petrol Heads Arnie
dafür nicht gebraucht haben, weil dieser Look aus den
Unfall-Erfahrungen kam; der Körper mußte gepanzert
werden.
Bei diesem Foto, das mich auf der roten
Tansalp zeigt, hatte ich den markanten
Crash von 1992
schon hinter mir und den von 1997 noch vor mir.
Dazwischen lagen einige sehr radikale Erfahrungen. Mitte
Mai 1992, also vor nun fast genau 28 Jahren, war ich mit
der großen Africa Twin unter einen LKW-Zug gekommen.
(Mein Fleisch erinnert sich heute noch an den Moment der
ersten Berührung.)
Das wurde sehr viel Arbeit für ein inspiriertes
Chirurgen-Team. Damals war mein Sohn schon unterwegs.
Als ich wieder halbwegs zu Bewußtsein kam, ergab das
eine klare Orientierung: ich hab genau ein halbes Jahr
Zeit, einen körperlichen Zustand zu erreichen, daß ich
ihn im Arm halten kam. (Das hat sich dann Mitte November
92 eingelöst.) 1997 ging es mit meiner zweiten Africa
Twin erneut Richtung Herz der Finsternis.
Erst
viele Jahre später wurde mir daran klar, welche
Wirkmächtigkeit Mythen haben, was Ideologie bewirken
kann. Damit hab ich auch den Faschismus besser
verstanden, hab überdies eine Vorstellung erlangt, was
in meinem Vater und seinen Leuten vorgegangen sein muß.
Das sind brandgefährliche Stoffe…
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