25. Mai 2020

Vor einer Weile hab ich dieses Bild für mich gefunden: mein drittes Leben. Nein, keine Auferstehungsmetapher, obwohl es auch diesen bedrohlichen Moment für mich gegeben hat. Sie kennen das vermutlich. Jemand kam in Lebensgefahr, was Leute in dessen Umgebung sehr beunruhigt.

Aus dem Wörterbuch der Ausdrucksarmut: banale Helden-Epen

Dann fallen so Sätzchen, welche diese Beunruhigung ausdrücken. „Wie durch ein Wunder…“ „Der zweite Geburtstag.“ (Auf diese Bilder gebe ich nichts!) Oder jetzt, da eine Seuche uns alle bedroht, was von manchen Leuten geleugnet wird, werden andere, die ihren Job tun, als „Unsere Helden!“ oder „Helden des Alltags“ markiert.

Der Begriff Helden ist aus dem 19. und 20. Jahrhundert so umfassend kontaminiert, schließlich auch diskreditiert, daß er mir als Indikator dient. Wo immer jemand diesen Begriff strapaziert, springt bei mir ein Alarm an.

Mein drittes Leben, das meint ganz banal: eben erst wurden die meisten Menschen in Europa kaum älter als 30 Jahre. Wenn auch Kräfte wie Alexander von Humboldt, ein Zeitgenosse von Schiller und Goethe, seinen 90er feiern durfte, blieb derlei langes Leben ein Minderheitenprogramm.

Sentimentale Selbstdarstellung: Die antiquierte Kerl-Pose
hat ein deutliches Ablaufdatum. Dann werden neue Konzepte fällig.

Ich hab meinen 30er im Vorbeigehen genommen, meinen 60er lächelnd absolviert, was auch heißt: stückweise mit zusammengebissenen Zähnen. Nun also, mitten im dritten Drittel, in meinem dritten Leben, das mich über verbleibende Optionen nachdenken läßt, bekommt die Rückschau einiges Gewicht. Siehe dazu auch meine NotizDas dritte Leben“!

Ich hab im gestrigen Eintrag von einer Begegnung mit Menschen erzählt, die ich zuletzt vor vierzig Jahren an einem gemeinsamen Tisch erlebt hatte. (Eine aus jener Runde ist nicht mehr hier. Siehe dazu den Eintrag vom 27. April 2008!)



Irgendwo da draußen: Eine unsichtbare Bedrohung,
selbst im ersten Kontakt nicht sinnlich wahrnehmbar

Das markiert eine Blütezeit erster Eigenständigkeit. Wenige Jahre vor jener Reise nach Griechenland, 1977, hatte ich entschieden, ein konventionelles Berufsleben aufzugeben und in die Kunst zu gehen. Das war damals ein völlig unrealistischer Schritt in romantischer Attitüde gewesen. (Ich staune immer noch, daß es funktioniert hat.)

Nun, als alternder Routinier dieses Metiers, beschäftigt mich gerade eine nächste Kulturpolitik, weil mir die aktuelle derart antiquiert und hilflos erscheint, daß ich darüber bloß müde lächeln kann, während allerhand Kollegenschaft mir so kopflos, laut und besorgniserregend ratlos erscheint, daß mir klar ist: die bräuchten hetzt einen geschützten Arbeitsplatz, aber arbeiten läßt sich mit derlei Panikorchester nicht.



kultur.at - verein für medienkultur: am 27.1.2003 gegrüdnet,
mit 1.5.2020 ins Archiv verschoben.

Andere sind erfahren und cool genug, daß sie selbst unter hohem Druck, wie wir Kunstschaffende ihn derzeit abbekommen, ihre eigene Handlungsfähigkeit als hohes Gut pflegen. Mit manchen von ihnen, wie dem Musiker Sir Oliver Mally, tausche ich mich laufend darüber aus, was diese Krise mit uns macht und was wir mit dieser Krise zu machen gedenken. Siehe dazu auch: Für eine nächste Kulturpolitik!

Passend zu diesen Verläufen: mit 1.5.2020 hat die Behörde unsere freiwillige Auflösung des kultur.at - verein für medienkultur festgehalten. Damit endete formell der strukturelle Teil eines Stücks heimischer Netzkultur. Aus dieser Formation war rund um 2008 Kunst Ost hervorgegangen und ist unser aktuelles Trägersystem.

-- [Lockdown] --

[kalender] [reset]