20. März 2020
Zeit gewinnen. Ich muß kein Fachmann sein, um das plausibel zu
finden. Ich muß die Widersprüche zwischen verschiedenen Auflassungen
von Fachleuten nicht eliminiert sehen, um zuzustimmen: Zeitgewinn!
Dazu kann ich beitragen, das können alle.
Wozu das gut ist? Weil eine Viren-Pandemie hochgeht wie eine Bombe.
Das heißt, wenn ungebremst, verbreiten sich Viren in
Exponentialspüngen. Aber wie schon erwähnt, ein Virion ist so
reduziert, so simpel gebaut, daß es keinen Stoffwechsel hat, sich
nicht aus eigener Kraft fortbewegen kann.
Es muß
transportiert werden, um sich ausbreiten zu können. Man braucht
nicht Einstein zu sein, um zu kapieren, daß die Pandemie nur dann
vorankommt, wenn wir darauf verzichten, die realen leiblichen
Begegnungen sprunghaft zu reduzieren.
Der gespenstische
Lungenfacharzt, dessen Namen ich im
Eintrag vom 18. März 2020
noch ausgeixt habe, ein Wichtigtuer, der inzwischen als widerlegt
gilt, hat genau das in Abrede gestellt; den Sinn, das System zu
bremsen, stellenweise runterzufahren.
Selbst wenn heute noch
völlig unklar wäre, was genau das aktuelle Virus im menschlichen
Körper macht, ist doch völlig klar, wie es sich verbreitet. Daher:
das gesamte Gemeinwesen runterfahren und leibliche Kontakte der
Menschen radikal reduzieren hilft, jene Zeit zu gewinnen, die
Professionals jetzt brauchen..
Zeit gewinnen, um den Verlauf der Pandemie festfahren zu lassen,
denn die Natur hilft uns dabei. (Jahreszeit, Wetterlage etc.). Zeit,
um das Virus angreifen zu können, ohne den Wirtskörper zu treffen.
Dazu müssen Mittel erprobt werden. Zeit, um jenes Personal nicht zu
überlasten, das jetzt akut gefährdeten Menschen hilft.
Wir
brauchen auch Zeit, um als Gesellschaft jene Fragen zu klären, die
sozial und wirtschaftlich auf uns zukommen, wenn die Pandemie
gebannt sein wird. (Volkswirtschaft ist keine Hauswirtschaft!)
Ich hab jüngst allerhand Proteste und Appelle gelesen. Soweit es
meine Profession und den Kulturbetrieb angeht, gebe ich darauf gar
nichts. Erneut drohen uns Kunstschaffende Einbußen und Belastungen.
Schon im Jahr 2010 trafen uns konkret Einbußen und Belastungen. Das
waren Konsequenzen der Wirtschaftskrisen nach dem Lehman
Brothers-Crash.
Ab 2015 wurden diese Konsequenzen durch einen
informellen wie brutalen Verteilungs- und Verdrängungswettkampf auf
dem Kulturfeld ergänzt. Eine Entwicklung, die es offiziell nicht
geben durfte, weil wir, „die Szene“, so etwas ja nicht tun.
Zehn Jahre, in denen ich rückblickend auf steirischem Terrain keine
kontinuierlichen und relevanten kulturpolitischen Diskurse auffinden
kann. Ich finde auch keine Konzepte und Modelle, mit denen
Freelancers unter uns auf all das reagiert hätten.
Und dieses Milieu wird jetzt, unter hohem Druck, rapide
einbrechenden Verdienstmöglichkeiten und dadurch exponentiell
gestiegenem Konkurrenzdruck endlich solidarisch wie sachkundig
reagieren, die Zukunftsfähigkeit unseres Berufes festigen?
Das glaube wer will, ich nicht. Aber mir wird deshalb nicht fad. Ich
hab in meinem bevorzugten Modus eine Betriebsanleitung, die nennt
unter anderem folgenden Punkt: Professionalität kommt durch
Arbeitszeit. Ich muß arbeiten! (Nur das Genie in mir braucht keine
Reglements, aber das Genie ernährt mich auch nicht.)
Da wäre
noch etwas, das übrigens zur Ehre des Handwerks gehört: Man
sagt nur, was man kann. Und man kann das, was man sagt. Es bleibt
ein Ringen um Klarheiten und Möglichkeiten. Das Übrige drücke ich
mit den Worten von Chip Taylor & The New Ukrainians aus: „Fuck
All The Perfect People!“
Post Scriptchen: Was ich
jetzt tu? Ich arbeite an begonnen Projekten weiter und fahr die
Konferenz in Permanenz wieder hoch. Das ist ein Diskursraum
zur Kunstpraxis, zu Wissens- und Kulturarbeit, in dem es um die Lage
der Profession geht. Wir sind schon auf Betriebstemperatur.
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