18. Dezember 2019

sprachregelungen und gewaltverzicht

im vorgarten der auslöschung gedeiht die verachtung. darin hat europa eine unmißverständliche geschichte. darin hat österreich seine markanten beispiele. als ich vor über einem halben jahrhundert zur welt gekommen bin, war schon geklärt, daß sprache gesellschaftliche realität erzeugt. aber diese klarheit ist lange zeit noch kein allgemeingut gewesen.

das heißt unter anderem, ich hab miterlebt, wie sich ein wissen darum innerhalb dieser gesellschaft entfaltet hat. ein beispiel: victor klemperers aufschlußreiche arbeit über die „lingua tertii imperii“ ist 1947 erschienen. überdies sind seine penibel geführten tagebücher in solchen fragen unmißverständlich.

eine andere wichtige quelle für diesbezügliche denkanstöße waren mir die frauenbewegungen. ich hab aus der lektüre einschlägiger literatur beizeiten die anregung bezogen, das im plural zu erwähnen. (nicht DER feminismus und DIE frauenbewegung.)

heute ist der 18. dezember. manchmal bin ich versucht, nach jahrstagen ausschau zu halten. am 18. dezember 2017 hatte ich in meinem logbuch notiert: „Die jüngste Wahl des Bundespräsidenten haben ich als eine Operette des Gezänks in Erinnerung.“ [Quelle]

damals war auch anzumerken: „Man wird mir nicht erklären können, warum es legitim und überdies nützlich sei, Menschen mit verächtlichem Gebrüll zu diffamieren, selbst wenn mir derlei Gegenüber sehr zuwider sein sollten.“ dieser eintrag ist teil der themenleiste „spurwechsel“, die bis zum 25. dezember 2018 reicht.

inzwischen sind weitere wahlkämpfe durchlaufen. zusätzlich die literaturnobelpreis-verleihung für peter handke, dessen haltungen zum untergang jugoslawiens erneut anlaß für kontroversen geben. (ich bestehe übrigens auf dieser unterscheidung. handke hatte nicht einfach „für serbien“ stellung bezogen, sondern zum untergang jugoslawiens.)

ist all das essenzieller geworden? haben die debatten ganz allgemein oder wenigstens in meiner nächsten nähe an qualität gewonnen? es sieht derzeit nicht so aus.

ich hab in dieser sache keine moralischen einwände, weil mir das konzept von moral unklar ist. mir fällt dazu grade noch das bonmot ein: „ethos sagt: ich soll. moral sagt: du sollst.“ (faktisch stehen das aus dem griechischen stammende ethos und das aus dem lateinischen kommende moral gleichermaßen für sitten und gebräuche.)

wenn ich mich in diesen angelegenheiten exponiere, dann aus sehr pragmatischen und aus eigennützigen gründen. es ist für mich eine frage der sicherheit.

ich halte gewaltverzicht für eine sehr fragile konvention. diese übereinkunft fällt leicht, wenn sie erst einmal sprachlich unterminiert ist. dann, so zeigt unsere geschichte, zeigt die erfahrung, ist niemand mehr sicher. es kann jeden beliebigen menschen treffen.

[Eine Facebook-Notiz]
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