25. Juni 2019

Ab vier Uhr morgens die brüllenden Vögel. Dann ist es Zeit, das Licht abzudrehen, denn irgendwo muß noch Schlaf zu finden sein. In diesen Sommernächten höre ich gelegentlich, wie sich der bullige Kerl mit den langen Haaren die Lunge aus dem Leib hustet. Ich hab diesen speziellen Klang früher schon kennengelernt.

Er weiß es, ich weiß es. Gegen diese Entzündungen gibt es keine Kur und er geht auf eine bittere Stunde zu, wo sein Atmen versagen wird. Auf der anderen Seite des Hauses dieser sehr viel jüngere Kerl am Haken des Alkohols. Meist ein sehr stiller Mensch, der sich manchmal in erschütternd laute Musik hüllt. Wir haben alle unsere Unzerstörbarkeiten verbraucht.

Ich hab die Regentage aufgesogen. Nun brandet wieder Wüstenhitze an. Früher dachte ich, daß ich solche Sommertemperaturen nicht leiden kann. Das Lähmende daran war mir als eine Bürde erschienen. Heute lege ich mich unter dieser Last hin, strecke mich aus, wechsle in Tagträumereien.

Anderen Menschen ist das Träumen ein Rätsel, welches sie entschlüsseln wollen. Für mich ist es ein Erlebnis von der gleichen Art wie Alltagsmomente. Das könnte ich auch geträumt haben, wie ich gestern zufällig mit Richard Hubmann und Franz Wolfmayr am Tisch eines Cafés gelandet bin und mich nun an Teile unsere Gesprächs erinnere. Man könnte sagen, Träume sind jene Sphären meines Lebens, in denen ich für die Drinks nichts bezahlen muß.

Das ist ein Referenzpunkt von Relevanz, weil zu den deprimierenden Faktoren einer schwierigen Zeit billiger Wein gehört. Damit das nicht mißverstanden wird, ich trinke Wein nur aus Vergnügen, nie aus Verzweiflung. Und ich wäre gerne bloß deshalb ein wohlhabender Mann, damit ich mir einen unermeßlichen Weinkeller einrichten könnte; direkt unter einer sehr geräumigen Bibliothek, die nur kleine Fenster unter der Decke hat. Aber ein großes Fenster wetterseitig, davor herinnen ein Podest, das mit Teppichen und Pölstern belegt ist, das ganze außen mit einem Vordach beschirmt, so daß die Flügel auch bei starkem Regen geöffent bleiben können.

Archäologin Maria Christidis hatte mir vor einer Weile geschrieben, daß im Griechenland der Antike jene für Barbaren gehalten wurden, die Wein ohne Wasser tranken. Sie ist eine Expertin für Vasen, folglich auch für jene Gefäße, in denen man einst Wasser und Wein im passenden Maß gemischt hatte. Durch sie war ich ferner auf das Grab der Persephone aufmerksam geworden, in dem sich eines der wenigen großen Gemälde aus dem alten Griechenland befindet.

Raub der Persephone, Fresko in der Nekropole von (Foto: Yann Forget, Public Domain)

Hauptgegenstad dieses Gemäldes ist ein eleganter Streitwagen, auf dem Pluton, Gott der Unterwelt, unterwegs ist, die geraubte Persephone im Arm. (Sein Name ist uns im todbringenden Plutonium noch gegenwärtig.) Das ist alles Teil des Stückwerks, wie ich es auffinde, während ich unsere Gegenwart nach jene Fragmente absuche, welche sich auf die Antike zurückführen lassen.

Keine Klassizismus-Variation, keine Renaissance-Attitüde, keine Anstrengung, um alte Motive neu einzuführen, sondern die Umkehrung solcher Optionen. Eine Spurensuche.

Ich hab im vorigen Eintrag Kulturwissenschafter Matthias Marschik erwähnt, der Foucault sehr viel gründlicher kennt als ich. In unserer Korrespondenz tauchte heute dieser Satz auf: „Foucault hat das an verschiedensten Beispielen aus der Antike, aber auch aus dem Mittelalter wunderbar nachgezeichnet, wie Diskurse für lange Zeit gültig sind, und wie sie in einem bestimmten Moment innerhalb weniger Jahre sich massiv verändern.“

-- [Das Feuilleton] --

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