Ab vier Uhr morgens die brüllenden Vögel. Dann ist es Zeit, das
Licht abzudrehen, denn irgendwo muß noch Schlaf zu finden sein. In
diesen Sommernächten höre ich gelegentlich, wie sich der bullige
Kerl mit den langen Haaren die Lunge aus dem Leib hustet. Ich hab
diesen speziellen Klang früher schon kennengelernt.
Er weiß es, ich weiß es. Gegen diese Entzündungen gibt es keine
Kur und er geht auf eine bittere Stunde zu, wo sein Atmen versagen
wird. Auf der anderen Seite des Hauses dieser sehr viel jüngere Kerl
am Haken des Alkohols. Meist ein sehr stiller Mensch, der sich
manchmal in erschütternd laute Musik hüllt. Wir haben alle unsere
Unzerstörbarkeiten verbraucht.
Ich hab die Regentage
aufgesogen. Nun brandet wieder Wüstenhitze an. Früher dachte ich,
daß ich solche Sommertemperaturen nicht leiden kann. Das Lähmende
daran war mir als eine Bürde erschienen. Heute lege ich mich unter
dieser Last hin, strecke mich aus, wechsle in Tagträumereien.
Anderen Menschen ist das Träumen ein Rätsel, welches sie
entschlüsseln wollen. Für mich ist es ein Erlebnis von der gleichen
Art wie Alltagsmomente. Das könnte ich auch geträumt haben, wie ich
gestern zufällig mit Richard Hubmann und Franz Wolfmayr am Tisch
eines Cafés gelandet bin und mich nun an Teile unsere Gesprächs
erinnere. Man könnte sagen, Träume sind jene Sphären meines Lebens,
in denen ich für die Drinks nichts bezahlen muß.
Das ist ein
Referenzpunkt von Relevanz, weil zu den deprimierenden Faktoren
einer schwierigen Zeit billiger Wein gehört. Damit das nicht
mißverstanden wird, ich trinke Wein nur aus Vergnügen, nie aus
Verzweiflung. Und ich wäre gerne bloß deshalb ein wohlhabender Mann,
damit ich mir einen unermeßlichen Weinkeller einrichten könnte;
direkt unter einer sehr geräumigen Bibliothek, die nur kleine
Fenster unter der Decke hat. Aber ein großes Fenster wetterseitig,
davor herinnen ein Podest, das mit Teppichen und Pölstern belegt
ist, das ganze außen mit einem Vordach beschirmt, so daß die Flügel
auch bei starkem Regen geöffent bleiben können.
Archäologin
Maria Christidis hatte mir vor einer Weile geschrieben, daß im
Griechenland der Antike jene für Barbaren gehalten wurden, die Wein
ohne Wasser tranken. Sie ist eine Expertin für Vasen, folglich auch
für jene Gefäße, in denen man einst Wasser und Wein im passenden Maß
gemischt hatte. Durch sie war ich ferner auf das
Grab der Persephone aufmerksam geworden, in dem sich
eines der wenigen großen Gemälde aus dem alten Griechenland
befindet.
Raub der Persephone, Fresko in der Nekropole von (Foto: Yann Forget,
Public
Domain)
Hauptgegenstad dieses Gemäldes ist ein
eleganter Streitwagen, auf dem Pluton, Gott der Unterwelt, unterwegs
ist, die geraubte Persephone im Arm. (Sein Name ist uns im
todbringenden Plutonium noch gegenwärtig.) Das ist alles
Teil des Stückwerks, wie ich es auffinde, während ich unsere
Gegenwart nach jene Fragmente absuche, welche sich auf die Antike
zurückführen lassen.
Keine Klassizismus-Variation, keine
Renaissance-Attitüde, keine Anstrengung, um alte Motive neu
einzuführen, sondern die Umkehrung solcher Optionen. Eine
Spurensuche.
Ich hab im vorigen Eintrag
Kulturwissenschafter Matthias Marschik erwähnt, der Foucault sehr
viel gründlicher kennt als ich. In unserer Korrespondenz tauchte
heute dieser Satz auf: „Foucault hat das an verschiedensten
Beispielen aus der Antike, aber auch aus dem Mittelalter wunderbar
nachgezeichnet, wie Diskurse für lange Zeit gültig sind, und wie sie
in einem bestimmten Moment innerhalb weniger Jahre sich massiv
verändern.“