23. Juni 2019
Ich hab Jahre nicht aus diesem Fenster unterm
Dach geblickt. Nun so herbstliche
Stunden mitten in der sommerlichen Hitzewelle. Der
letzte
Logbuch-Eintrag liegt eine Weile zurück. Ich war
in letzter Zeit vor allem sehr mit
meinem kulturpolitischen Feuilleton beschäftigt und im Hintergrund
mit dem Steineklopfen. (Das meint Routinearbeit, um Geld zu bewegen. )
Was mir dabei an Denkräumen frei bleibt, ist mit der Arbeit an
Bestandsaufnahmen ausgefüllt. Ich hab schon mehrfach erwähnt, daß
sich mein Gefühl verdichtet hat, es würde nicht erst, es habe schon
eine Ära geendet. Aber wie brauchbar, wie aussagekräftig ist so eine
individuelle Deutung?
Deshalb waren die letzten Monate davon
geprägt, daß ich Menschen danach gefragt hab. So viel
schien schon
klar zu sein, ich bin selbst in eine
erhebliche Diskrepanz geraten, die sich zwischen
mir und einem vorherrschenden Betrieb immer deutlicher, immer härter
aufgetan hat. (Ich spreche sehr bewußt von Härte in diesen
Prozessen.)
Manchmal habe ich gestaunt, wie unerbittlich mir
selbst nahestehende Menschen entgegengekommen sind, um nicht bloß
mein Denken, sondern auch meine Berufspraxis anzufechten. (Dabei war
der Vorwurf der Antiquiertheit kein Einzelfall.) Ganz bemerkenswert,
daß solche Anfechtungen vor allem von Menschen kamen, die von meinem
Metier wenig Ahnung haben. (Es erweist sich inzwischen häufig, daß
Leute mit einer bildungsbürgerlichen Marotte ein wenig auf dem
Kulturfeld dilettieren und sich nach zwei, drei
Monaten für sachkundig halten.)
Nun zeigt sich langsam, ich hab mich nicht getäuscht. Da
sind Brüche offenkundig geworden. Ich beruhige mich in der Sache
langsam, wo mir die Verständigung mit inspirierten Menschen gelingt,
die über solche Kräftespiele nicht hinweggehen müssen, sondern sich
erlauben, ganz genau hinzusehen, was sich da gerade auftut. Eine
Schlüsselstelle war für mich kürzlich jener Tag mit Inge und Franz
Wolfmayr, den ich mit dieser Notiz markiert habe: „Flüstern“
(...um besser gehört zu werden).
Einen wesentlichen Hinweis erhielt ich nun von Kulturwissenschafter
Matthias Marschik, der mir mit Foucault kam: „Er spricht von den
Diskursen, die die Welt durchziehen, die oft auf Jahrzehnte
Gültigkeit haben und dann plötzlich kippen. So etwas passiert seit
einigen Jahren, wo plötzlich Diskurse, die scheinbar schon
verschwunden waren, nicht nur wieder salon-, sondern mehrheitsfähig
wurden: Machistische, anti-demokratische, menschenverachtende.“
Ein Umbruch im Sinn des Wortes, ein Splittern und Brechen. Wenn
ich eingangs mein kulturpolitisches Feuilleton erwähnt habe, dann
ist damit eine Themenleiste gemeint, in der ich das gerade faßbar zu
machen versuche. Ich werde nicht umhinkommen, mich selbst derzeit
als antiquiertes Wesen zu verstehen.
Marschik hat mir mein
Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein, allerdings etwas relativiert.
Er meinte: „Nein, noch nicht rausgefallen, aber zunehmend am Rande
der Zeit.“ Das bietet mir eine wertvolle Orientierungshilfe.
Und dann kam dieser wesentliche Aspekt: „Was an Foucault auch fein
ist, dass er das Subjekt auf der einen Seite nur als Knotenpunkt
verschiedener Diskurse ansieht (als: ‚Das Große im Kleinen‘), aber
gleichzeitig davon spricht, dass jeder Mensch ‚die Sorge um sich‘
pflegen muss.“
Das Subjekt als Knotenpunkt verschiedener
Diskurse. Da bin ich bei den Narrativen, nach denen ich mich eben
umsehe, nein, nach deren Status ich mich umsehe; eingedenk der
Überlegungen von Historiker Harari, der dieses Narrativ, in dem ich
mich zuhause fühle, für abgeschlossen, für erledigt hält. (Nach dem
faschistischen und dem kommunistischen Narrativ habe sich nun auch
das liberale erschöpft.)
In dieser Konfusion, die mir in
persönlichen Bereichen unterkommt, die ganz Europa erfaßt hat, sehe
ich nicht, daß der Faschismus wieder auferstanden sei, aber ich orte
protofaschistische Momente. Diese Unterscheidung ist mir wichtig.
Wir wissen, wohin das, was wir derzeit leben,
führen kann. Wovon wird
also die nächste große Erzählung handeln?
- - [ Das
Feuilleton]
--
|
[kontakt]
[reset] [krusche] |