2. Juni 2019
In der momentan blühenden Erregungs-
und Beschimpgfungskultur gehört es zu den beliebtesten Strategien,
Andersdenkenden ihren Verstand abzuerkennen. Ich hab das im
vorigen Eintrag kurz
geschildert. Wer eine Meinung hat, kann doch nicht falsch liegen? Eben!
Das paßt also jederzeit.
Die gängigen Beschimpfungsmuster zeigen eine überschaubare Hierarchie.
Die mildeste Zuschreibung lautet: "Du verstehst mich nicht." Dem
folgt: "Du willst mich nicht verstehen." Wenn das nicht greift,
kommt: "Du kannst mich nicht verstehen." Es muß demnach am Verstand des
Gegenübers gezweifelt werden.
Wenn das noch nicht reicht, wird die Person in ihrer körperlichen
Erscheinung angefochten. Falls das zu keinem Einlenken führt, reichen
manche Perlen dieser Gesellschaft eine Attacke auf die Sexualität der störrischen Person nach.
Die erste Angriffswelle bietet daher ein sanftes Crescendo: Nicht können, nicht
wollen, zu blöd, um zu verstehen. Manche gehen allerdings gleich zu Fragen der
Körperlichkeit über, um jemanden zu diskreditieren. Ein simples
Beispiel, gestern frisch auf der Facebook-Leiste des Austria-Forum.
Der Anonymus Jimmy Jim lächelt gerne. Sein Gesicht kann kaum verbergen,
daß dieser fröhliche Jim für eine Model-Karriere nicht in Frage käme. Es
gibt auch keinen Hinweis darauf, daß er die Wissensplattform
Austria-Forum dafür nutzen möchte, seinen Wissensstand in irgendeinem
Bereich zu erweitern.
Aber er hat ein Mitteilungsbedürfnis. Zur eben als Bundeskanzlerin
angelobten Brigitte Bierlein, die in wenigen Wochen ihren 70. Geburtstag
feiert und die bisher eine beeindruckende Berufslaufbahn absolviert hat,
fällt ihm genau so viel ein: "In Realität schaut sie Botox praepariert aus."
Jimmy Jim hält sich also gar nicht erst mit sachlichen Einwänden gegen
diese Frau auf, sondern denunziert sie gleich direkt mit einer
Unterstellung bezüglich ihrer körperlichen Erscheinung.
Das vergangene Jahr war übrigens voll von sexualisierten Schäbigkeiten
gegenüber österreichischen Journalistinnen, wobei sich - manchmal gut
erkennbar - offenbar vor allem jene Männer hervortun, die nicht gerade
zu den hellsten Kerzen auf der Torte zählen.
Die Angriffsziele Verstand, Körper, Sexualität stehen im großen Handbuch
der Niedertracht gan oben und rot unterstrichen. Dafür sind sich
gelegentlich auch feine Herren nicht zu fein. (Man ahnt, wie provokant
kluge Frauen in unserem Land empfunden werden.)
Was den beliebten Volkssport der psychologischen Schwarzarbeit angeht,
diesem seriellen Ausstellen und Zustellen psychologischer Befunde,
werden wir immer wieder überrascht. Das jüngste österreichische
Husarenstück in dieser Abteilung kam vom vaterländischen Andreas Mölzer.
Michael Reimon zitierte den Mann auf Twitter, wo er uns Greta
Thunberg als "psychisch kranke" Person vorzuführen versuchte, die man
wohl nicht ernst nehmen solle. Der bewährte Untergriff: nicht die
Argumente, sondern die Person attackieren.
Greta eine "Ikone der Eliten"? Na, da wird Herr Mölzer mit
unseren Kindern und Engeln noch lustige Tage erleben. Der versierte
Kopfarbeiter weiß natürlich genau, was er da tut und ist intellektuell
wie sprachlich gut gerüstet, diese Art des Denunziationsgeschäftes
voranzutreiben. Von Jimmy Jim läßt sich das vermutlich nicht sagen,
zumindest bietet seine Fracebook-Präsenz keinen Hinweis, daß er
übermäßig sprachgewandt sei.
Aber das desavouieren Andersdenkender hat seine Athleten in allen
Qualitätsstufen. So ließ mich eben der Maler Michael Geyer per
Markierung auf Facebook wissen, daß ein altes Foto aus eine
privaten Situation nun als Beleg taugen dafür würde, daß man meine
Ansichten nicht ernst zu nehmen brauche.
Das muß übrigens auch ohne jeden Fotobeleg gelten, denn niemand braucht
meine Ansichten ernst zu nehmen; das muß einem ja völlig frei stehen.
Wenn sich das aber mit einem Foto mitteilen läßt, das öffentlich
und individuell zugeordnet wird, ist es doch eine sehr persönliche Sache
jemandes, mit dem ich seit vermutlich rund 20 Jahren nichts mehr zu tun
hatte.
So produziert sich eine intellektuell völlig abgehalfterte
Mittelschicht, simuliert eine adäquate politische Situation und geht
dabei im Gegenwind durch die Neue Rechte den Bach runter. Das
ist wenig überraschend. Wo sich eine politische und gesellschaftliche
Gegenposition im Beschimpfen und Diskreditieren erschöpft, in der
Selbstdefinition durch Feindmarkierung, haben die vaterländischen
Kräfte weit mehr Übung in dieser Disziplin.
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