1. Februar 2019

Ich vermute, wir alle durften über Jahrzehnte auf den Trittbrettern einer Absetzbewegung mitfahren, die eine Distanz zu den Kriegs- und Totalitarismuserfahrungen des 20. Jahrhunderts hergestellt haben. In dieser Phase gelang es, Europa von großen Kriegsereignissen weitgehend freizuhalten.

Den Nordirland-Konflikt mußten beispielsweise nicht wir an uns heranlassen. Es genügte, John Lennon und Yoko Ono zu hören: "If you had the luck of the Irish, you'd be sorry and wish you were dead..." Das Filmschaffen hat uns einen unmißverständlichen Eindruck von der Brutalisierung einer Gesellschaft hinterlegt. "Hunger" (2008) von Steve McQueen gehört zum Bittersten, was mir davon untergekommen ist. Oder 1993 Jim Sheridan's "In the Name of the Father". Forest Whitaker hat mich 1992 als Jody in "The Crying Game" von Neil Jordan umgehauen. Die Liste relevanter Filme ist lang.

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Belfast

Soweit ich mich erinnere, hab ich Unruhen auf den Molukken stärker wahrgenommen als die Terroraktivitäten baskischer Separatisten. Aber das Kosovo! Das Crescendo des Untergangs Jugoslawiens hätte uns alarmieren müssen. Der Frieden ist uns in Europa nicht garantiert. Wenn uns also auch in den 1980ern die Prozesse rund um das Werden einer Neuen Rechten entgangen wären, zum Beginn der 1990er Jahre war eigentlich unübersehbar, daß der Nationalismus mit seinen schäbigsten Seiten wieder enormen Aufwind hat.

Aber wozu anstrengen? Solange unsere Feindbilder elaboriert erschienen und ausreichend tief gehängt waren, schien alles geordnet. So bequem hatten es sich die vaterländischen Kräfte in Europa zur gleichen Zeit nicht gemacht. Da wurde konsequent an Optionen und Vernetzungsschritten gearbeitet. Ich muß das nicht weiter ausführen, weil der politische Zustand Europas diese Entwicklung anschaulich belegt.

Ich hab im vorigen Eintrag notiert, daß ich es als Witz empfände, wenn Leute in meiner Umgebung derzeit einen äußerst smarten und strategisch ausgekochten Politiker wie Minister Herbert Kickl für seine Vorstöße mit einem Immanuel Kant-Zitat bewerfen, das überdies aus einem Text stammt, den all diese Erregten sicher noch nie aus der Nähe gesehen haben.

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Vukovar

Das ist Pose. Eine leere Geste. Pfeifen im finsteren Wald. Welche Narrative stehen denn derzeit jenen Erzählungen gegenüber, die von den vaterländischen Kräften etabliert wurden? Ich finde vor allem die Darlegungen interessant, welche in den letzten Jahren für österreichische Wahlerfolge gesorgt haben. Heimat. Identität. Unsere Kultur. Das Volk mit seiner (Volks-) Kultur. Dieses Europa und seine Wurzeln, seine Werte.

Ich weiß, daß politische Landgewinne über diese Themen hauptsächlich mit Stichworten gemacht wurden, die als leere Phrasen bestehen mußten, weil dahinter kaum Substanzielles zu finden ist. Aber was hilft dieses Wissen, wenn wir ebenfalls bloß Worthülsen und beliebig befüllbare Container-Begriffe dagegenstellen? Warum geschieht das? Ohne Wissensgewinn ist diese Situation nicht zu ändern.

Ein Beispiel. Da wäre das Kulturforum Steiermark, von der FPÖ etabliert. (Es gab schon eine eigene Website im WWW, die wurde offenbar wieder aufgegeben, alles auf Facebook verlagert.) Legt man nun deren Themenangebot zum Beispiel über "Die Grüne, die Eherne Mark." (Eine kurze Fassung der langen Geschichte der Steiermark) von Volkskundler Günther Jontes, wird schnell deutlich, daß diese Formation repräsentativ aufzutreten versteht, aber in keiner Weise gerüstet ist, die facettenreiche Geschichte der Steiermark auch nur ansatzweise zu nutzen. Davon kommt beim Kulturforum Steiermark kaum etwas vor. (Vizeadmiral Wilhelm von Tegetthoff, na das hat als kulturelles Thema Relevanz!)

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Petrovaradin

Da wird inhaltlich eine ganz dünne Suppe entlang einer Reihe gefälliger Stichworte gekocht. Ziemlich viel konventionell geschneidertes Tuch ohne besondere Herausforderung. Gut. Da sollte es nicht so schwierig sein, den Vaterländischen auf diesen Themenfeldern Gesellschaft zu leisten und in die Diskurse einzusteigen: Heimat. Identität. Unsere Kultur. Das Volk mit seiner (Volks-) Kultur. Dieses Europa und seine Wurzeln, seine Werte.

Aber die Mindestvoraussetzung und sinnvolle Eintrittskarte wäre.... Sachkompetenz. Es müßten ja nicht alle der genannten Themengebiete bei einer Person zum Zug kommen. Aber irgendwas... Statt Immanuel Kant-Zitate via Copy/Paste wenigstens ein Thema, in dem man eine Debatte sachlich durchstehen könnte. Wenigstens halbwegs fundiertes Wissen, statt Polemik.

Die Kraft dazu, nämlich den nötigen Wissenserwerb zu bewältigen, könnte aus einem Verzicht auf Sprücheklopferei, Betroffenheitsgymnastik und Moraltrompeterei erfolgen, vor allem auch im Aufgeben des Beschimpfens und Abwertens Andersdenkender. Wenn die Neue Rechte inhaltlich nicht gestellt werden kann, wird sie sich kaum bremsen lassen. Nein? Lieber nicht? Auch gut.

-- [Konsortium 18: Statusfragen] --

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