31. Jänner 2019 Wurde
Richard David Precht zum Peter Rosegger meines Milieus? Sollte man Immanuel Kant gelesen
haben, um ihn wirkungsvoll zitieren zu können? Welche Entlastung verspricht das
Beschimpfen von Andersdenkenden?
Österreichs Regierung läßt uns um ein schönes, altes
Thema kreisen, das sich in folgender Frage offenbart: Darf man die Demokratie mit
demokratischen Mitteln abschaffen? Sollte die Antwort darauf NEIN lauten, ist es mit
einer Beteuerung, man stünde im Lager der Demokratie, natürlich nicht getan.
Dieses Nein muß in einem konkreten Handeln umgesetzt werden.
Ich meine mich zu erinnern, daß während meiner Jugendtage
in solchen Zusammenhängen zwei spezielle Kategorien zur Debatte standen. Die geistige
Landesverteidigung, wie sie uns damals von der Regierung nahegelegt wurde, und die
(physische) Raumverteidigung, wie sie mir als Soldat nahegelegt wurde; beruhend
auf einem Konzept von General Emil Spannocchi.
Die Spannocchi-Doktrin hab ich im Vorjahr für die
Arbeit an meinem Haflinger-Buch
wieder hervorgekramt. (Das Buch zu dieser Doktrin erschien 1976.) Divisionär Ernest
König nannte das in einem Memo "eine Billigvariante unter dem Schlagwort des
Unterlaufens der Technik". (Quelle)
Das ist ein wichtiger Zusammenhang, denn der kleine Steyr-Puch Haflinger verdankt
sich dem Umstand, daß Österreich nicht in der Lage war, eine Armee auszurüsten, die
fähig gewesen wäre, motorisierte Verbände einer feindlichen Macht aufzuhalten.
Darüber hatte man in Österreich durch ein Großmanöver ("Bärentatze")
des Bundesheeres Klarheit. Im November 1969 nahmen daran 12.508 Mann, 345 Ketten- und
2.181 Räderfahrzeuge teil. Das Ergebnis wurde als Desaster gedeutet. Im April 1970
berichtete das Magazin "Der Spiegel" darüber: "Die
Mini-Streitmacht siecht dahin, zusätzlich geschwächt durch die Mißwirtschaft mehrerer
ÖVP-Verteidigungsminister. An nationalen Feiertagen präsentiert sich die Truppe auf dem
Wiener Ring. Spätestens beim Manöver 'Bärentatze' im Herbst letzten Jahres stellte sich
heraus, daß sie im Ernstfall nur bedingt einsatzfähig wäre. " (Quelle)
Also mußte das Land mit einem Konzept, das die bescheidenen
Mittel gerade noch zuließen, gesichert werden. (In meinem Verständnis hieß das zum
Beispiel, Partisanentaktik für reguläre Truppen adaptieren etc.) Ich denke, ein
wesentlicher Teil der vaterländischen und nationalistischen Töne, die
uns derzeit begleiten, wurzelt in dieser tiefen Unsicherheit, denn Österreich war
eigentlich noch nie ernsthaft in der Lage, eine ausreichend effiziente Armee auszurüsten
und ihr eine ausreichende Anzahl effizienter Kommandeure voranzustellen. Und das Geistige?
Da wird es sehr interessant!
Was die geistige Landesverteidigung angeht, hatte
ich keine Details mehr in Erinnerung und mußte das recherchieren. Dabei fand ich ein ganz
bemerkenswertes Grundsatzdokument. Bemerkenswertes deshalb, weil es eine politische
Kategorie betont, eine ethnische Deutung vollkommen beiseite läßt. Der
diesbezügliche Kernsatz lautet:
"Das
Gefühl der Zugehörigkeit zum eigenen Land wird also mit allen seinen Einwohnern und
Einwohnerinnen, unabhängig von Herkunft und
sozialem Status, geteilt."
Egal, woher jemand kommt und welchen Hintergrund die Person
hat, es gilt das Bekenntnis zur Republik und zur Demokratie. Diese Forderung erinnert an
eine historische Definition, was denn nun eine Nation sei. Dabei war nicht von
autochthonen Leuten die Rede, nicht von kulturellen Kriterien, sondern gewissermaßen von
einem "täglichen Plebiszit", mit dem sich die Bevölkerung handelnd
stets neu zu den Regeln eines Staates bekennt. Hier die betreffende Textstelle aus unserem
Ministerium im Zusammenhang:
"Geistige Landesverteidigung setzt ein Bekenntnis
zu einem demokratischen Österreich voraus. Damit ist im Besonderen die Bereitschaft
gemeint, die Spielregeln der Demokratie und des Rechtsstaates ernst zu nehmen, sich selbst
aktiv an demokratischen Prozessen zu beteiligen und auch anderen zuzugestehen ihre
Interessen auf diesem Wege zu vertreten. Das Gefühl der Zugehörigkeit zum eigenen Land
wird also mit allen seinen Einwohnern und Einwohnerinnen, unabhängig von Herkunft und
sozialem Status geteilt." (Quelle: Bundesministerum
Bildung, Wissenschaft und Forschung)
Das ist eine Orientierung, von der Österreichs Regierung
augenblicklich vielleicht gar nicht viel weiß. Und diese anspruchsvolle Passage, es sei:
"...im Besonderen die Bereitschaft gemeint, die Spielregeln der Demokratie und
des Rechtsstaates ernst zu nehmen, sich selbst aktiv an demokratischen Prozessen zu
beteiligen und auch anderen zuzugestehen ihre Interessen auf diesem Wege zu vertreten",
die eben nicht bloß jene Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft meint,
So hat es wohl auch Ernest Renan gedacht, als er am 11.
März 1882 in der Sorbonne jenen anregenden Vortrag hielt: "Was ist eine
Nation?" Da heißt es: "Das Dasein einer Nation ist - erlauben Sie mir
dieses Bild - ein täglicher Plebiszit, wie das Dasein des einzelnen einen andauernde
Behauptung des Lebens ist." Hier als PDF bei der Uni Giessen: [link]
Die Renationalisierung der öffentlichen Debatten
und der Politik belegt, daß diese Dinge momentan sehr im Argen liegen. Zyklen und
Konjunkturen. So möchte ich mir das erklären. Wie verlockend die Vorstellung,
Gemeinschaften wären kollektiv anfällig für Vernunft, um sich von mal zu mal in
vorteilhaftere Zustände zu entwickeln. Dann müßten wir den Unvernünftigen nicht
zurufen, wie falsch sie liegen, denn sie würden sich in sanfter Progression derart
bessern, daß sie keine mehr wären; nämlich Unvernünftige.
Aber ist nicht genau das die Grundsituation der
Tyrannei? Es etabliert sich eine Sekte der gnadenlos Guten, die Normen definiert.
Wer dem nicht zustimmt, muß sich als Unvernünftiger markieren lassen, wird manchmal noch
freundliche Zurufe erhalten, auch Ermahnungen, schließlich die Faust im Nacken spüren.
Die große Ratlosigkeit in meinem Umfeld sehe ich etwa
daran, daß ein äußerst smarter und strategisch ausgekochter Politiker wie Minister
Herbert Kickl nun für seine Vorstöße seit Tagen mit einem Immanuel Kant-Zitat beworfen
wird. Was für ein Witz!
-- [Konsortium 18: Statusfragen] -- |