8. Jänner 2019

Als wollte der Lauf der Dinge meine vorige Notiz illustrieren, kam nun ein Schwarm von Meldungen mit der knappen Botschaft "Nazis raus". (Hashtag!) Der Anlaß: ZDF-Journalistin Nicole Diekmann erhielt einen Shitstorm mit Mord- und Vergewaltigungswünschen, weil sie privat "Nazis raus" getwittert hatte.

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Also feiert die Misogynie Feste und die vaterländischen Kreise wünschen sich, daß die Frau verschwinden würde, was sich in dieser obszönen Empfehlung entblößt, sie möge eventuell so wirkungsvoll vergewaltigt werden, daß ihr Leben erlischt. Ich kann nicht nachvollziehen, daß derlei Obszönität einen Solidaritätsruf verlangt. Muß nun betont werden, was nichts anderes als Grundkonsens sein kann? Daß nämlich solche sexualisierten Gewaltphantasien, die per Massenmedien verbreitet werden, ihrerseits massive Gewalttaten sind, die eigentlich vor Gericht verhandelt werden müßten.

Ich hab nun etliche Tweets zu sehen bekommen, die in ihrer Knappheit nicht einmal Donald Trump unterbieten könnte: "Nazis raus". Gut. Da hat jemand eine Meinung. Und weiter? Ist das nun ein relevanter Beitrag, um den vaterländischen Kreisen ein paar Fußbreit Boden abzuringen, wo es auf unzähligen Themenfeldern dieser Gesellschaft um Deutungshoheit geht? Ist es nicht! Daher sollte dem was folgen. Kommt was?

Wenn also zur gehabten Meinung kein erarbeitetes Wissen kommt, das sich über Jahre verfeinert und das sich über Jahre zur Wirkung bringen möchte, bewegen wir uns in der Sache nicht vom Fleck. Denn genau das haben wir die letzten dreißig Jahre schon ausgelotet, erprobt. Einer Meinung haben. Die läßt sich ausstreuen. Die läßt sich verlautbaren: "Ich hab eine Meinung! Nazis raus!"

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Das ist komfortabel, denn es verlangt keine Arbeit. Unter dieser harten Erfahrung, daß Legionen von Opponenten eine Meinung haben, konnte sich die Neue Rechte ab den 1980er Jahren gründlich neu formieren, auf die Wege in Gemeindeämter, Rathäuser und Parlamente begeben. Sie mußte oft bloß so harten Zurufen wie "Faschistoid!" standhalten. Was genau bedeutet denn bitte das Prädikat faschistoid?

Müßte ich dazu nicht mindestens eine halbwegs klar Vorstellung haben, was Faschismus sei? Der historische Faschismus? Jener der italienischen Faszisten? Jener von Francos Gefolgschaft, an den Guernica erinnert? Jener japanischer Formationen, die Japan zu einem Alliierten der Nazi gemacht hatten? Und warum sprechen wir heute von Neonazis, aber nicht von Neofaschisten? (Apropos! Gottfried Küssel kommt demnächst aus dem Knast.)

Was also wäre nun das Faschistoide, deutlich erkennbar, von anderen Positionen der Unduldsamkeit unterscheidbar? Nein, diese Debatte hab ich in meinem Umfeld während der letzten dreißig Jahre nicht erlebt. Sagen wir doch einfach: "Nazis raus!" Aber die gehen nicht. Also werden sie zum Beispiel via Massenmedien beschimpft. Facebook liefert mir inzwischen täglich Beispiele dafür. Sie werden mit Häme und Verachtung bedacht.

Man macht sich über ihre Sprache lustig, weist ihnen Rechtschreibfehler nach, verausgabt sich in leeren Gesten. Meinung ist eben kein Wissen. Meinung kann sich mitteilen, austoben, aber ich bezweifle, daß sie auf den verschiedenen Themenfeldern etwas bewirkt, dort jemandes Deutungshoheit anzukratzen vermag. Was für ein Erregnungstheater, in dem die vaterländischen Kräfte womöglich auch die kommenden dreißig Jahre Boden gewinnen. In die Gemeindestuben, Rathäuser und Parlamente müssen sie es nicht mehr schaffen, denn da sind sie schon.

Ich bin von aktuellen Wahlerfolgen weder überrascht, noch beeindruckt. Das kam nicht aus dem Verborgenen. Das durfte sich gegen allerhand Meinungen durchsetzen und etablieren. Aber was wäre so neu daran? Ich wurde 1956 geboren, daher sind mir die zweite Hälfte der 1960er und die 1970er gut erinnerlich. Damals waren noch richtige Nazi am Werk. Kraftvolle Menschen in der Blüte ihrer späten Lebenszeit, die dem Hitlerismus gedient hatten.

Damals hatten wir in der Steiermark einen Landtagspräsidenten Franz Wegart, welcher einen "Ehrenschutz" der Kameradschaft IV für angemessen hielt. Ehre und Schutz für einen Traditionsverband der Waffen SS. In der Sache notierte Patrick Vergörer in seiner Dissertation über "Grenzen liberaler Demokratie" zum Beispiel:  "Einer dieser Kameradschaftsverbände ist der 'Österreichische Soldatenverband - Kameradschaft IV', der als Traditionsverein der Waffen-SS verstanden werden kann. Aus heutiger Sicht zählt die Kameradschaft IV sicherlich zu den "Pionieren" unter den vielen in Österreich existierenden soldatischen Vereinigungen." Das sorgte erst 1992 für eine massive öffentliche Diskussion.

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In den 1960ern und 1970ern konnten wir uns auch noch ziemlich unbehelligt die Frauen weiterhin als unsere Haustiere wünschen. Innerfamiliäre Gewalt hatte goldene Zeiten und vergleichsweise wenig Konsequenzen. Gewalttätigkeit an Frauen und Kindern, um diese zur Räson zu bringen, mußte bei uns noch nicht gar so sehr versteckt werden wie heute.

Ich belasse es hier bei diesen wenigen Reminiszenzen, um zu betonen: Was sich derzeit abspielt, regt mich nicht sonderlich auf. Es hat gewisse Kontinuität, überrascht mich kaum und verleitet mich auch nicht zur Annahme, daß es früher gar so viel besser gewesen sei. Wir erleben Wellen der Biederkeit. Die Mediensituation ist freilich mit der vergangener Jahrzehnte nicht vergleichbar. Ich habe leichte Zweifel, ob die Politik in unserer immer noch vorherrschenden Männerkultur wirklich gravierend anders ist.

Neu ist allerdings auch, daß wir in sehr viel mehr gesellschaftlichen Bereichen mit klugen Frauen konfrontiert werden, die sich von keiner Barriere und keiner Decke, auch von keiner Beschimpfung abhalten lassen, um mit ihren gut begründeten und überaus berechtigten Ansprüchen voranzukommen, egal, wie lange es dauert. Da kann vermutlich allerhand gelernt werden. (Mit der Meinung "Machos raus!" wird sich in der Sache niemand begnügt haben.)

Falls ich die Menschenwürde für ein hohes Gut halte, darf ich auch die von Andersdenkenden nicht verletzen, was die Würde der Vaterländischen, auch jene der Schreihälse und jene der gewaltbereiten Kanaillen, einschließt. Zugegeben, eine schwierige Übung. Die Kraft des Beschimpfens halte ich für vergeudete Kraft. In der Wissens- und Kulturarbeit gäbe es reichlich zu tun, was eben nicht bloß den Wissenserwerb meint, sondern vielfältige Umsetzungsarbeit auf den verschiedenen Feldern einer Gesellschaft.

-- [Konsortium 18] --

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