5. Jänner 2019 Wer mit
einem schwächelnden Ego durch die Welt gehen muß, vor allem durch diese nun so komplexe
Welt, wird eventuell dazu tendieren, sehr enge und strikte Grenzen zu bevorzugen, wenn es "Wir"
heißen soll.
Dieses streng begrenzte Wir gönnt sich einen
kuriosen Effekt. Es meint dann gleich alle. "Wir sind das Volk!" rufen
jene, die es innerhalb eines Staatsvolkes auf ein paar Prozent bringen. Das hat
philosophische Dimensionen, denn es ließe sich auch so lesen: "Wir wenigen sind
alle!"
Kein Zufall, daß ich eben ein Staatsvolk erwähnt
habe. Das ist schließlich nicht identisch mit kulturellen Formationen.
Blöderweise haben wir für Demos und Ethnos im Alltag nur die Begriffe Volk
und Volk. Das läßt sich so nicht unterscheiden. Uns weil sich viele Menschen
noch keinerlei tieferschürfende Gedanken über die oder unsere Kultur gemacht haben, wird
gerne angenommen, das Volk habe eine Volkskultur, daher sei die dann unsere
Kultur, nämlich die des Abendlandes, und zwar speziell des christlichen Abendlandes.
Das sind eine Menge Klischees und ideologische Verzierungen in einem knappen Gedankengang.
Kein Mensch sagt im Alltag Staatsvolk. Es sagt
auch niemand Kulturvolk. Dafür haben wir den Begriff Ethnie. Ah! Geht
doch! Da hätten wir ja Ethnos. Wir, das ist sowieso ein Phantasma, wenn jemand
von einem Staat spricht. Ich habe bosnische und serbische Leute kennengelernt, hier einen
Finnen, dort einen Iraner, mir ist auch schon ein Japaner begegnet, manch ein Araber, und
ich denke gerne an zwei rumänische Leute, die sind allesamt auf eine Art in der Welt,
daß ich mir mit ihnen jederzeit ein Wir vorstelle. Wenn ich Wir sage,
dann meinst das solche Leute.
Uns verbinden Wissen, Ansichten, Zugänge, Grundelemente
einer Lebenspraxis, uns verbindet ein leidenschaftliches Interesse an Kunst und ihren
Möglichkeiten. Wir! Dagegen hab ich eine lange Reihe autochthoner
österreichischer Leute kennengelernt, mit denen habe ich bestenfalls den
Staatsbürgerschaftsnachweis gemeinsam. Unter ihnen haben sich gelegentlich welche
hervorgetan, die wollten mich schlicht abschaffen. Kein Wir!
In solchen Zusammenhängen wird mitunter auch akut, was der
Brauch sei oder was der Brauch sein solle. Hier schlägt die Stunde der Bewahrer
und der Traditionsschützer. Das Problem mit solchen Menschen: sie spalten zu
leicht zwischen Brauch und dem, was in Gebrauch ist. Es zeigt sich aktuell sehr schön an
einem winterlichen Beispiel; nämlich daran, daß sich bei uns schon längst der
Weihnachtsmann durchgesetzt und etabliert hat. Puppen von dicken, bärtigen Männern in
typischer Garderobe hängen im Advent von Balkonen und Fenstern, treiben sich auf Dächern
um, stehen in Vorgärten.
Daß diese Figur ein Produkt der Werbeabteilung von Coca
Cola ist, mag irritieren, diskreditiert aber dieses junge Brauchtumselement
keineswegs, wie der aktuelle Gebrauch zeigt und dokumentiert. Da mögen sich Menschen
hervortun, um hinauszuschreien, daß bei uns ein Christkind regiere, nicht der
Weihnachtsmann, Brauch ist eben, was in Gebrauch kommt.
Ähnlich problematisch zeigt sich der jüngste
Trachten-Boom. Da wurde mir mehrfach mit treuherzigem Blick versichert, Tracht zu tragen
drücke etwas Bodenständiges und vor allem etwas Steirisches aus. Wirklich? Wie
schafft es das? Was wir an Tracht kennen, ist einerseits stark von den
einschlägigen Musterbüchern der Nationalsozialisten geprägt, andrerseits von der Art
billiger Lifestyle-Requisiten, wo vollkommen beliebige Design-Arbeit angewandt wird.
Was sich dagegen in Material, Verarbeitungsqualität und
Gestaltungsdetails konsequent an tradierten Formen orientiert, ist teuer, verlangt
Sachkenntnis, hat in der Bevölkerung keine nennenswerte Verbreitung. Hinzu kommt das eine
oder andere City-Management, von dem eine lokale Tracht einfach frei erfunden wird,
hauptsächlich traditionsfrei, um als traditionsträchtiges Werbeprodukt der
Werbetätigkeit einer Kommune zu dienen. Das hat dann eher die Qualität der Leibchen
eines bestimmten Fußballclubs, muß sich aber schlampig mit Begriffen wie Heimat
und Tradition assoziieren lassen. Da wird das Thema Tracht komplett in die Tonne
getreten.
Innerhalb meiner Lebensspanne wurden gut eingeführte
Begrifflichkeiten weitreichend aufgebrochen. Außerdem stürzten Bastionen der
Deutungshoheit. Die Pop-Kultur und das sogenannte Volkstümliche wurden
gleichermaßen mit Wirtschaftsinteressen imprägniert, was die Situation verwirrend und
interessant macht.
Der aktuelle Rechtsruck Europas, wie er nicht vom
Himmel fiel, sondern sich seit den 1980er Jahren mit neuen Qualitäten entwickelt hat,
bietet einen stabilen Rahmen für allerhand lustig daherbehauptende Exegeten des Völkischen.
In meinem Milieu wurde das, wie der Rückblick deutlich macht, über Jahrzehnte nicht
ernst genommen. Das rächt sich politisch, das wirft auch in anderen gesellschaftlichen
Zusammenhängen massive Probleme auf.
Wer darüber lamentieren möchte, vergeudet Zeit und Kraft.
Wer sich in Betroffenheitsgymnastik ergeht und die Sache mit mediengestützter Moraltrompeterei
erledigen möchte, gibt weiteren Boden für jene frei, die mit leeren Worthülsen Wahlen
gewinnen.
Eine spezielle Form der Kapitulation vor vaterländischen
Kräften ist das hemmungslose Beschimpfen dieser Kreise. Was ich da etwa via Social
media an Abschätzigkeit und Menschenverachtung gegenüber Leuten in rechten Lagern
zu lesen bekomme, halte ich für verstörend und höchst problematisch. Es hebt nämlich
jede Grenze gegenüber jenen auf, die man auf solche Art zu maßregeln versucht. Es spült
einen in das selbe Lager und vergrößert so die politische Schlagkraft der
rechtspopulistischen Formationen.
Eine andere Option ist historisch gut belegt, ein
tauglicher Weg, um in solchen Kräftespielen Boden zu gewinnen. Konsequente Wissens- und
Kulturarbeit, die -- ähnlich der Kunst -- ihre Regeln aus sich selbst bezieht und sich
dabei weder den Kräften der Wirtschaft, noch dem politischen Personal gegenüber
gefällig erweist.
Wir haben im 20. Jahrhundert längst geklärt, daß das
möglich ist und daß es sich politisch legitimieren läßt. Aber wir verlieren es, sobald
wir es für gegeben und gesichert halten. Ich sehe die politische Situation Europas als
einen Beleg dieser Annahme.
Wenn ich nun im Bereich Konsortium 18 weiter an
den Fragen nach Zusammenhängen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst
arbeite, dann in diesem Sinn; etwa um zu klären, was ein geistiges Leben in der Sache an
Klarheiten verlangt. Derzeit boomen Attitüden, wo sich Menschen selbst darin genügen,
daß sie Meinungen vorbringen. Die Meinung kommt jederzeit ohne Wissen
aus.
Und das ist eine Domäne der vaterländischen Kräfte. In
der Angelegenheit werden wir ihnen keinen Rang ablaufen können. Ich denke, wir sollten
auf Wissenserwerb und fundierte öffentliche Diskurse setzen, die sich nicht selbst
entwerten, indem auf politische Opponenten mit Menschenverachtung losgegangen wird.
-- [Konsortium 18] [Volkskultur]
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