30. Dezember 2018 Zur
Alltagsbewältigung möchten wir darauf vertrauen, daß bestimmte Worte etwas auf
unmißverständliche Art bezeichnen. Inhalt und Ausdruck sollen in einem nachvollziehbaren
Verhältnis zueinander stehen. Das Symbol steht für einen Begriff und
beides meint ein bestimmtes Ding. Ich mag diese Kraut- und Rüben-Situation, wo
wir für Dinge Begriffe haben und Begriffe in Zeichen darstellen. Wer
das genauer haben will, muß sich auf Semiotik einlassen. Wer das auf sinnlich
Art genießt, ist mit Poesie gut beraten.
Ich hab hier vor etwa
einem Monat Daniel Dennett erwähnt, seine Annahme, daß unser Gehirn sich eine Benutzer-Illusion
geschaffen habe, genau das sei das Ich. Eine Benutzer-Illusion, dank derer wir
die Komplexität des eigenen Leibes uns seiner maßlosen Vorgänge bewältigen würden. Es
geht zum Beispiel darum, was die rund 86 Milliarden Neuronen unseres Gehirns treiben und
wie sich daraus ein Leben entfaltet, in dem wir vom Wunsch getrieben sind, wir könnten
darüber weitgehend selbst verfügen, eben genau nicht als Getriebene.
Die Poesie: Ich, als Benutzer-Illusion meiner
selbst, habe Begriffe für Dinge und stelle diese Begriffe in Zeichen dar, muß aber die
Unzweideutigkeit solcher Setzungen laufend durchbrechen, Poesie nach sich zieht. (Poiesis
ist ein großes Thema, das natürlich über Betulichkeit und Sprücheklopferei
hinausreicht.)
Selbst in der Popkultur ist das ständig präsent,
hat seine wunderbar trivialen Momente. Ein Beispiel: Krimis und TV-Serien liefern uns
launige Charaktere an die Couch. Wir sehen, Sekretärinnen lieben Sonette von Shakespeare.
Börsenhaie erkennen Zeilen von Walt Whitman. Ein Gangster rezitiert "I Have a
Rendezvous with Death" von Alan Seeger. Und natürlich singt Van Morrison wieder
einmal "Raglan Road" nach dem Gedicht von Patrick Kavanagh. (Hannibal
Lecter nicht zu vergessen, der Dante im Ärmel hat.)
Der amerikanische Dichter Alan Seeger war 28 Jahre alt, als
er 1916 im französischen Belloy-en-Santerre auf dem Schlachtfeld blieb. Das war die
große Schlacht an der Somme. In diesem bekanntesten seiner Gedichte beschreibt er die
Verabredung mit dem Tod, als ginge es darum, eine Frau zu treffen.
At midnight in some flaming
town,
When Spring trips north again this year,
And I to my pledged word am true,
I shall not fail that rendezvous. [Quelle]
Nun endet dieses Jahr, in dem unter anderem an 1918 zu
denken war, in dem manche auf 1938 verwiesen. Was klingt? Ungetrübte Geselligkeit und
stellenweise ebenso ungetrübte Geschwätzigkeit, dazu bleibt jetzt weiter nichts zu
sagen. Diverse Mittelschicht-Vergnügungen erschöpfen sich darin, daß eher uninspirierte
Sprücheklopferei sich kühn als Kunst ausgibt und in flüchtigen Andachtsbildchen
kursiert. Schwamm drüber!
Ich hatte gestern eines meiner wiederkehrenden Abendessen
mit Wissenschafter Hermann Maurer. Wir erörtern auf die Art laufend, was an Fragen
vorliegt, was an Vorhaben machbar erscheint. Wo sind wir angekommen? Was prägt die
Abläufe? War es je anders? Oder ist es so banal wie alltäglich, daß die
Geschwätzigkeit den Menschen allerhand Mühen des Wissenserwerbs ersparen soll? Maurer
schüttelte bloß den Kopf. Wir mochten uns damit nicht weiter befassen und statt dessen
lieber Pläne schmieden.
Also werden wir für 2019 eine Reihe gemeinsamer Vorträge
erarbeiten. Also werden wir überprüfen, ob uns ein Periodikum gelingen kann, das in
elektronischer und gedruckter Form erscheint. Das hat den Anteil einer wunderbar
antiquierten Attitüde, denn alle Tage lesen wir davon, daß Print am Sterben sei
und die neuen Medien bla, bla, bla.
Es ist so viel noch unerledigt. Dazu paßt auch mein
vorgestriges Arbeitsgespräch mit Mirjana Peitler-Selakov, die einerseits als
Technikerin reüssiert hat, andrerseits als Kuratorin dem Kunstfeld nicht fernbleiben
will. Nach einer Zeit heftiger Reisetätigkeit als Konsulentin für Kugler Maag
ist sie nun nach Graz zurückgekehrt und bei Infineon Technologies an Bord
gegangen. Das bietet ihr vergleichsweise ruhigere Abläufe und schafft Platz für ein
Vorhaben.
Wenig überraschend, daß wir uns diesbezüglich über
Strategien des Ausblendens weiblicher Intelligenz unterhalten haben. Und dabei auch über
die Frage, ob es das überhaupt gebe, weibliche Intelligenz als etwas
Geschlechtsspezifisches. Selbstverständlich ergibt der Gender Check dabei ein
paar sinnvolle Optionen.
Den Anregungen von Daniel Dennett folgend: Wenn unser Ich
eine Benutzersimulation ist, die vom Zentralnervensystem eingerichtet wurde,
damit wir als zoon politikon existieren können, dann bildet diese Simulation
selbstverständlich unsere Lebensverhältnisse ab. Sonst wäre sie weitgehend nutzlos. Das
bedeutet für mich zwangsläufig, sie hat Gender-Prägungen, was uns auch die Semiotik
belegt. Begriffe, Zeichen, Bezeichnetes, natürlich laden wir das mit Ideologie auf,
nehmen Deutungen zu eigenen Gunsten vor, was bis heute eine konkret vorherrschende,
geschichtlich tradierte Männerkultur zu anderen Konzepten in Kontrast stellt.
Damit eröffnet sich nun ein neuer Abschnitt der Praxis im
Erkunden relevanter Schnittpunkte von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst.
Das wird eine nächste Variante, um Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft in ein Wechselspiel
zu bringen. Was das Genre Kunst angeht, bündelt sich das nun erst einmal in
meinem Projekt "Tesserakt". |